Macht (German Edition)
Fähigkeit ihres Kommandanten haben, sie zum Siege zu führen. Das Gesetz ist machtlos, wenn es nicht allgemein geachtet wird. Wirtschaftliche Einrichtungen hängen von der Achtung vor dem Gesetz ab; überlegen wir zum Beispiel, was im Bankwesen geschehen würde, wenn der Durchschnittsbürger nichts gegen die Falschmünzerei einzuwenden hätte. Religiöse Ansichten haben sich oft als machtvoller als der Staat erwiesen. Wenn in irgendeinem Land die große Mehrheit für den Sozialismus wäre, würde der Kapitalismus nicht mehr funktionieren. Aus diesen Gründen könnte man sagen, dass Meinung die grundlegende Macht in gesellschaftlichen Dingen darstellt.
Dies wäre jedoch nur eine halbe Wahrheit, da sie die Kräfte ignoriert, die die Meinung hervorrufen. So sicher es ist, dass Meinung ein wesentliches Element militärischer Stärke ist, so wahr ist es auch, dass militärische Stärke meinungsbildend sein kann. Fast jedes europäische Land hat gegenwärtig die Religion jener Regierung, die ihm im späten sechzehnten Jahrhundert vorstand, und das muss hauptsächlich der Kontrolle von Verfolgung und Propaganda mittels bewaffneter Kräfte in verschiedenen Ländern zugeschrieben werden. Man betrachtet herkömmlicherweise Meinung als abhängig von mentalen Ursachen, was aber nur im Hinblick auf die unmittelbaren Ursachen zutrifft: im Hintergrund steht gewöhnlich materielle Kraft im Dienst irgendeines Glaubens.
Dagegen hat ein Glaube anfänglich niemals materielle Kraft zu seiner Verfügung, und die ersten Schritte beim Hervorbringen einer verbreiteten Meinung erfolgen allein durch Überzeugung.
Es handelt sich also um eine Art Umkehrung: zunächst reine Überzeugung, die zur Bekehrung einer Minderheit führt; dann Einsatz von Gewalt, um den Rest der Gemeinschaft der richtigen Propaganda zu unterwerfen; schließlich ein tief verwurzelter Glaube der großen Mehrheit, der wiederum den Einsatz von Gewalt unnötig macht. Manche Meinungen überschreiten niemals das erste Stadium, andere erreichen das zweite und versagen dann, wiederum andere haben in allen drei Stadien Erfolg. Die Quäker sind niemals über die Überzeugung hinausgelangt. Andere Nichtkonformisten erlangten zu Cromwells Zeit die Staatsmacht, versagten aber später in ihrer Propaganda. Die katholische Kirche eroberte nach drei Jahrhunderten Überzeugung den Staat zu Konstantins Zeiten und errichtete dann gewaltsam ein Propagandasystem, das fast alle Heiden bekehrte und dem Christentum gestattete, die Einfälle der Barbaren zu überstehen. Der marxistische Glaube hat in Russland das zweite, wenn nicht das dritte Stadium erreicht, befindet sich aber überall sonst im ersten.
Trotzdem gibt es einige wichtige Beispiele für den Einfluss auf die Meinung ohne eine Unterstützung durch Gewalt in irgendeinem Stadium. Das bemerkenswerteste unter ihnen ist der Aufstieg der Wissenschaft. Heutzutage wird in zivilisierten Ländern die Wissenschaft vom Staat ermutigt, in ihrer Anfangszeit aber war das nicht der Fall. Galileo wurde gezwungen, zu widerrufen, Newton wurde zum Schweigen gebracht, indem man ihn zum Vorsteher der Münzwerkstätten machte, Lavoisier kam unter die Guillotine, weil »la Republique n'a pas besoin de savants«. Nichtsdestoweniger waren diese Männer, und einige andere gleich ihnen, die Schöpfer der modernen Welt; ihre Wirkung auf das Leben der Gesellschaft war größer als die irgendeines anderen in der Geschichte bekannten Mannes, Christus und Aristoteles nicht ausgenommen. Der einzige, dessen Einfluss von vergleichbarer Bedeutung gewesen ist, war Pythagoras, und es ist zweifelhaft, ob er gelebt hat.
Es ist heutzutage üblich, die Vernunft als wirkende Kraft in menschlichen Angelegenheiten herabzusetzen, aber der Aufstieg der Wissenschaft steht dem als überwältigendes Argument entgegen. Die Wissenschaftler zeigten den intelligenten Laien, dass eine gewisse Art des intellektuellen Ausblicks den Weg zu militärischer Macht und zum Reichtum eröffnet. Und diese Ziele waren so heiß begehrt, dass der neue intellektuelle Ausblick den des Mittelalters verdrängte, trotz der Macht von Tradition und Reichtum der Kirche und trotz des mit der katholischen Theologie verbundenen Fühlens. Die Welt glaubte nichtmehr, dass Josua die Sonne zum Stillstand gebracht hatte, weil die kopernikanische Astronomie sich für die Seefahrt als nützlich erwies; die Welt gab die physikalischen Lehren des Aristoteles auf, weil Galileis Theorie der fallenden Körper ihr
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