Macht (German Edition)
ermöglichte, die Flugbahn einer Kanonenkugel zu berechnen; man verwarf die Geschichte von der Sintflut, weil die Geologie für den Bergbau nützlich ist und so weiter. Es wird heute allgemein anerkannt, dass die Wissenschaft sowohl im Kriege wie in der Friedensindustrie unentbehrlich ist und dass ohne Wissenschaft eine Nation weder wohlhabend noch mächtig sein kann.
Diese ganze Wirkung auf die Meinung hat die Wissenschaft nur durch die Anrufung der Tatsache zustande gebracht: Was die Wissenschaft in der Art von allgemeinen Theorien zu sagen hatte, könnte in Frage gestellt werden, was aber die Technik anlangte, so betraf sie jedermann. Die Wissenschaft gab dem Weißen die Herrschaft über die Welt, die er erst zu verlieren begann, als die Japaner seine Technik erlernten.
Aus diesem Beispiel kann man einiges über die Macht der Vernunft im allgemeinen lernen. Im Falle der Wissenschaft triumphierte die Vernunft über das Vorurteil, weil sie die Mittel schuf, tatsächliche Aufgaben durchzuführen, und weil der Beweis dieser ihrer Fähigkeit von überwältigender Wirkung war. Wer behauptet, dass die Vernunft in menschlichen Angelegenheiten keine Rolle spielt, übersieht diese beiden Bedingungen. Wenn man im Namen der Vernunft einen Menschen auffordert, seine grundsätzlichen Ziele zu ändern – etwa, dem allgemeinen Wohl zuzustreben anstatt seinem eigenen –, wird man Schiffbruch erleiden, und mit Recht, weil die Vernunft allein nicht das Ziel des Lebens bestimmen kann. Und man wird ebenso fehlgreifen, wenn man tiefverwurzelte Vorurteile angreift, während das eigene Argument noch in Frage gestellt oder so schwierig ist, dass nur Wissenschaftler seine Gewichtigkeit begreifen können. Wenn man aber durch Tatsachen nachweist, die für jeden gesunden Menschen, der sie nachprüfen will, überzeugend sind, dass man ein Mittel besitzt zur Befriedigung bestehender Wünsche, hat man einen gewissen Grund zu der Hoffnung, dass die Menschen schließlich glauben werden, was man ihnen sagt. Das schließt natürlich ein, dass die existierenden Wünsche, die man befriedigen kann, von Menschen gehegt werden, die Macht besitzen oder erwerben können.
Soweit, was die Macht der Vernunft in menschlichen Angelegenheiten angeht. Ich komme nun zu einer anderen Form nicht gewaltsamer Überzeugung, nämlich zu der der Religionsstifter. Hier sieht der Prozess, auf seine Grundformel reduziert, folgendermaßen aus: Wenn eine gewisse Behauptung wahr ist, werde ich imstande sein, meine Wünsche zu verwirklichen; ich wünsche daher, dass die Behauptung wahr sei; infolgedessen glaube ich, sofern ich nicht über ungewöhnliche intellektuelle Selbstkontrolle verfüge, an ihre Wahrheit. Man sagt mir, dass Orthodoxie und ein tugendhaftes Leben mir, wenn ich sterbe, den Himmel öffnen werden; dies zu glauben bereitet Vergnügen, und ich werde es daher wahrscheinlich glauben, wenn es mir eindringlich vorgestellt wird. Die Ursache ist hier nicht wie bei der Wissenschaft die belegte Tatsache, sondern das vom Glauben abgeleitete Vergnügen sowie die genügend eindringliche Behauptung in der Umgebung, die den Glauben als nicht glaubwürdig darstellt.
Die Macht der Reklame fällt unter die gleiche Überschrift. Es macht Vergnügen, an die Pillen des Herrn Soundso zu glauben, da es einem Hoffnung auf vermehrte Gesundheit macht; es ist möglich, an sie zu glauben, wenn man ihre Vorzüglichkeit oft und emphatisch behauptet findet. Irrationale Propaganda muss genauso wie rationale an existierende Begierden appellieren, nur ersetzt sie die Anführung der Tatsache durch Wiederholung.
Der Gegensatz zwischen rationaler und irrationaler Überzeugung ist in der Praxis weniger scharf als in der obenstehenden Analyse. Gewöhnlich gibt es irgendeinen rationalen Tatbestand, der allerdings zu Schlussfolgerungen nicht ausreicht; das Irrationale besteht darin, dass man ihm zuviel Gewicht beimisst. Wenn der Glaube nicht einfach traditionell ist, ist er das Produkt verschiedener Faktoren: Begierde, Tatbestand und Wiederholung. Wenn Begierde oder Tatbestand gleich Null ist, wird es keinen Glauben geben; wenn keine von außen kommende Versicherung vorliegt, wird Glaube nur in außergewöhnlichen Charakteren entstehen, zum Beispiel in Religionsstiftern, wissenschaftlichen Entdeckern und Wahnsinnigen. Um einen gesellschaftlich wesentlichen Massenglauben hervorzubringen, bedarf es bis zu einem gewissen Grade aller drei Elemente; wenn dagegen ein Element anwächst, während ein
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