Macht (German Edition)
Organisationen ohne Beziehung auf ihren Zweck.
Ich habe vom Wachstum einer Organisation gesprochen und ihrem Wettbewerb mit rivalisierenden Körperschaften. Um die Darwinsche Analogie zu vervollkommnen, müsste man etwas über Verfall und Alter sagen. Die Tatsache, dass die Menschen sterblich sind, ist an sich noch kein Grund, Organisationen für sterblich zu halten, und doch sind es die meisten von ihnen. Manchmal erleiden sie einen gewaltsamen Tod von außen her, aber es ist nicht das, was wir im Moment untersuchen wollen. Ich will vielmehr die Schwäche und Langsamkeit der Bewegung betrachten, die man oft an alten Organisationen bemerken kann und die der Bewegung alter Männer ähnlich ist. Eines der besten Beispiele ist das chinesische Reich vor der Revolution von 1911. Es handelte sich um die weitaus älteste Regierung der Welt; zur Zeit des Aufstiegs von Rom hatte es militärische Stärke gezeigt und in den großen Tagen des Kalifats; es besaß eine ständige Tradition hoher Zivilisation und eine seit langem errichtete Regierungspraxis fähiger Männer, die durch vergleichende Prüfungen für ihr Amt ausgewählt wurden. Die Stärke der Tradition und die Tyrannei von jahrhundertealter Gewohnheit waren die Ursachen des Zusammenbruchs. Es war unmöglich für die Gelehrten, zu verstehen, dass ein anderes Wissen als das der konfuzianischen Klassiker erforderlich war, um den Nationen des Westens entgegentreten zu können, oder dass die Maximen, die gegen halbbarbarische Grenzstämme Schutz gewährt hatten, gegen Europäer von keinem Nutzen waren. Was eine Organisation altern macht, ist Gewohnheit, die auf Erfolg beruht; wenn neue Verhältnisse entstehen, ist die Gewohnheit zu stark, um abgeschüttelt zu werden. In revolutionären Zeiten sind die ans Kommandieren Gewöhnten niemals fähig, schnell zu begreifen, dass sie nicht mehr auf den gewohnten Gehorsam rechnen können. Dazu entwickelt sich die Achtung gegenüber hervorragenden Personen, die ursprünglich ihre Autorität bestätigen sollte, zu steifer Etikette, die sie in der Aktion hindert und sie davon abhält, das für den Erfolg benötigte Wissen sich anzueignen. Könige können in der Schlacht nicht mehr Anführer sein, weil sie geheiligt sind; man kann ihnen nicht ungenießbare Wahrheiten auftischen, weil sie den Sprecher hinrichten lassen würden. Allmählich werden sie zu reinen Symbolen, und eines Tages kommen die Leute zur Erkenntnis, dass sie etwas als Symbol verehren, was keinen Wert hat.
Immerhin gibt es keinen Grund dafür, dass alle Organisationen sterblich sein sollten. Die amerikanische Verfassung zum Beispiel belegt keinen Menschen oder keine Gruppe mit einer Art Verehrung, die zu Unwissenheit und Unfähigkeit führt, noch gibt sie sich dazu her, außer in gewissem Maße in Beziehung auf den Obersten Gerichtshof, Gewohnheiten und Grundsätze aufzuspeichern, die Anpassung an neue Umstände verhindern. Es gibt keinen ersichtlichen Grund, warum eine derartige Organisation nicht unbegrenzt weiter existieren sollte. Ich glaube daher, dass, während die meisten Organisationen früher oder später untergehen, und zwar entweder aus Erstarrung oder aus äußeren Ursachen, es keinen Grund für die Annahme gibt, dass dieses Schicksal unvermeidlich sei. Hier muss die biologische Analogie, wenn sie erzwungen wird, in die Irre führen.
ZWÖLFTES KAPITEL
REGIERUNGSMACHT UND IHRE FORMEN
A bgesehen vom Zweck einer Organisation sind ihre wichtigsten Eigenschaften a) Umfang, b) Macht über ihre Mitglieder, c) Macht über Nichtmitglieder, d) Regierungsform. Die Frage des Umfangs werde ich im nächsten Kapitel behandeln; die übrigen Punkte bilden den Gegenstand dieses Abschnitts.
Gesetzlich geduldete Organisationen, vom Staate abgesehen, haben Befugnisse über ihre Mitglieder, die vom Gesetz genau beschränkt sind. Wenn man ein Rechtsanwalt, ein Arzt oder ein Rennstallbesitzer ist, kann man ausgeschlossen, aus den Listen gestrichen, disqualifiziert oder von der Rennbahn verwiesen werden. All diese Strafen bedeuten Schmach, und die ersten drei können außerordentliche wirtschaftliche Schwierigkeiten mit sich bringen. Wie unpopulär man aber auch in seinem Beruf sein mag, die Kollegen können gesetzlich nicht mehr tun, als einen daran zu hindern, diesen Beruf auszuüben. Wenn man Politiker ist, muss man von seiner Partei als zuverlässig angesehen werden, um die Hilfe der Parteimaschine zu erhalten; man kann jedoch nicht daran gehindert werden, einer anderen
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