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Macht (German Edition)

Macht (German Edition)

Titel: Macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertrand Russell
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seiner aktiven Anhänger. Jeder geschickte politische Agitator oder Organisator bemüht sich, Ergebenheit gegenüber einer Person zu erregen. Wenn die Person ein großer Führer ist, so ergibt sich eine EinMann-Regierung; ist sie es nicht, so wird die Parteiclique, die ihre Wahl gesichert hat, zum wirklichen Träger der Macht.
    Das ist keine wahre Demokratie. Die Frage der Bewahrung der Demokratie in einem weiten Gebiet ist sehr schwierig. Ich werde in einem späteren Kapitel auf sie zurückkommen.
    Bisher haben wir uns mit Regierungsformen in der Politik beschäftigt. Aber die in wirtschaftlichen Organisationen auftretenden Formen sind so wichtig und eigenartig, dass sie gesondert betrachtet werden müssen.
    In einem Industrieunternehmen gibt es zunächst einmal einen Unterschied, der dem zwischen Bürgern und Sklaven im Altertum vergleichbar ist. Die Bürger sind jene, die in das Unternehmen Kapital investiert haben, während die Angestellten ihre Sklaven sind. Ich will diesen Vergleich nicht zu weit treiben. Der Angestellte unterscheidet sich vom Sklaven durch den Umstand, dass er frei seine Beschäftigung wechseln kann und das Recht hat, seine Freizeit zu verbringen, wie es ihm gefällt. Der Vergleich, den ich anstellen möchte, bezieht sich auf die Regierung. Tyranneien, Oligarchien und Demokratien unterschieden sich in ihren Beziehungen zu Freien; in ihrer Beziehung zu Sklaven waren sie alle gleich. Auf ähnliche Weise kann die Macht in einem kapitalistischen Industrieunternehmen unter den Inhabern der Investierungen auf monarchische, oligarchische oder demokratische Art aufgeteilt sein, aber Angestellte haben überhaupt keinen Anteil an ihr, sofern sie nicht investiert haben, und man ist der Ansicht, dass sie so wenig Anspruch auf Macht besitzen wie Sklaven im Altertum.
    Wirtschaftsverbände weisen eine große Vielfalt an oligarchischen Verfassungsformen auf. Ich denke im Moment nicht an die Tatsache, dass die Angestellten von der Geschäftsführung ausgeschlossen sind; ich denke nur an die Aktienbesitzer. Am besten behandelt dieses Thema nach meinem Wissen ein Buch, das ich bereits erwähnt habe, »The Modern Corporation and Private Property« von Berle und Means. In einem Kapitel, das die Überschrift trägt »Die Entwicklung der Kontrolle«, zeigen sie, wie Oligarchien, oft bei ganz geringer Besitzbeteiligung, sich die Führung mächtiger Kapitalaggregate angeeignet haben. Durch gewisse Schachzüge, die mit dem »proxy committee« zusammenhängen, »kann die Leitung in der Tat ihre eigenen Nachfolger ernennen. Wo der Besitz in genügendem Maße unterteilt ist, kann die Leitung auf diese Weise eine sich selbst verewigende Körperschaft werden, selbst wenn ihr Anteil am Besitz ganz geringfügig ist. Die diesem Zustand am nächsten kommende Form, die die Autoren finden konnten, ist die Organisation, die die katholische Kirche beherrscht. Der Papst wählt die Kardinäle aus, und das Kardinalskollegium wiederum wählt den nachfolgenden Papst.« Diese Leitungsform besteht in einigen der größten bestehenden Verbände, zum Beispiel in der American Telephone and Telegraph Company und in der United States Steel Corporation, die am 1. Januar 1930 über Kapitalien von vier bzw. zwei Milliarden Dollars verfügten. Im letzteren Verband besitzen die Direktoren nur 1,4 % der Aktien, und doch gehört die wirtschaftliche Macht allein ihnen.
    Die organisatorische Kompliziertheit eines Wirtschaftsverbands kann leicht größer sein als die einer politischen Institution. Direktoren, Aktienbesitzer, Inhaber von Schuldscheinen, Aufsichtsrat und gewöhnliche Angestellte haben alle verschiedene Funktionen. Die Leitung ist in der Regel oligarchisch, und die Einheiten der Oligarchie bilden Aktien, nicht Aktieninhaber, deren gewählte Vertreter die Direktoren sind. In Wirklichkeit haben die Direktoren gewöhnlich viel mehr Gewalt, verglichen mit Aktieninhabern, als die Regierung einer politischen Oligarchie, verglichen mit den einzelnen Oligarchen. Dagegen haben dort, wo die Gewerkschaften gut organisiert sind, die Angestellten ein gewichtiges Wort bei der Festlegung ihrer Arbeitsbedingungen mitzureden. In kapitalistischen Unternehmen besteht eine eigenartige Dualität des Zwecks: Einesteils sind sie dazu da, um Waren oder Erleichterungen für das Publikum herzustellen, andererseits streben sie nach Profiten für die Aktieninhaber. In politischen Organisationen nimmt man an, dass die Politiker nach dem allgemeinen Wohl streben und

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