Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
drehen, schlugen allesamt fehl.
Warum es diese kategorische Ablehnung, insbesondere ihr nahestehender Medien, gegeben hat? Ganz genau weiß sie das auch nicht, deshalb sucht sie erst mal Erklärungshilfe bei Barack Obama, »die nahesten Medien sind immer die schwersten« übermittelt sie pauschal aus dem Erfahrungsschatz des amerikanischen Präsidenten. Um dann in einem Crescendo ihrer Lebhaftigkeit die Einzelfälle zu skizzieren: Da ist zum Beispiel der Innenressortchef eines bedeutenden Nachrichtenmagazins, der im Beraterkreis von Angela Merkel war und den sie bei einer Begegnung tadelte: »Ich dachte, Sie seien Journalist und nicht Lobbyist.« »Das hat er mir übelgenommen.« So sehr, dass er wohlwollende Redakteure von ihrem Thema absetzte, glaubt sie. Sie nimmt es sportlich: »Ich neige nicht dazu, mich verfolgt zu fühlen.« Aber unfair behandelt fühlte sie sich allemal.
Gesine Schwan ist streitbar, das ist kein Widerspruch zu ihrem Plädoyer für Vertrauen, Integration und Gemeinwohl. Für sie ist es ein Prädikat. Wer Positionen hat, trifft zwangsläufig auf Gegenpositionen. Anfang der achtziger Jahre wurde sie mal wegen Kritik an Willy Brandt aus der Grundwertekommission der SPD gewählt, ein bislang einzigartiger Fall. Inzwischen ist sie längst wieder drin.
Wer mit ihr spricht, spürt zuallererst die Warmherzigkeit in ihrem Blick, das Interesse am Gegenüber und am inspirierenden Diskurs. Aber man versteht schnell, warum der Eifer, mit dem sie ebenso fundiert wie schwindelerregend argumentiert, und ihre Stimme, die dabei so aufgeregt wird, auch zänkisch wirken können. Ob sie glaubt, die Politik habe Angst gehabt vor ihren vorhersehbaren Einmischungen als Bundespräsidentin? Das mag schon sein, sagt sie nachdenklich, aber das liege weniger an ihr als an der grundsätzlich fehlenden Wertschätzung für das höchste Amt des Staates. Nun sind wir bei einem ihrer Lieblingsthemen, und sie kann sich vortrefflich hineinsteigern in die Ausführung dessen, was aus Schloss Bellevue heraus alles möglich wäre, an Impulsen für dieses Land. Das sagt sie kopfschüttelnd, sei nun nach den letzten beiden unrühmlich abgebrochenen Präsidentschaften nicht besser geworden. Auch wenn das Präsidentenamt immerhin mal wieder im Fokus der Wahrnehmung stand. Hättet ihr es mich mal machen lassen, dem Amt wäre einiges erspart geblieben, das sagt sie hörbar nicht. Jetzt macht es ja einer, dem das Format zugesprochen wird. Das ist einer der seltenen Situationen, in denen sie sich einer Beurteilung enthält. Auch wenn spürbar ist, wie schwer ihr dieses Schweigen fällt.
Sie weiß genau, dass sie Fehler gemacht hat bei ihrer zweiten Kandidatur. Mehr als sie machen durfte in Anbetracht des geballten Widerstandes. Sie hätte vermutlich nicht den Populismus von Horst Köhler als Beitrag zur Erosion der Demokratie kritisieren sollen. Dieser Verstoß gegen die gängigen Sitten führte zur »Erosion der Kandidatin«, wie sie in unsanften Kommentaren nach- und am Wegducken ihrer Parteiführung ablesen konnte. Die Entfremdung zwischen der SPD-Spitze und ihrer ehemaligen Wunschpräsidentin war offensichtlich, auch wenn es weiterhin keine offene Aussprache gab. Die Häufigkeit der Nachfragen von Journalisten nach dem Grad der Unterstützung durch ihre Parteiführung war ausreichendes Indiz für deren Nichtvorhandensein.
Sie ist noch immer enttäuscht von dieser Entwicklung, von den wahlstrategischen Überlegungen, die wichtiger waren als angemessene Solidarität, und vor allem von der Doppelzüngigkeit langjähriger Weggefährten. Wenn sie diejenigen heute trifft, kann sie kein schlechtes Gewissen erkennen: »Dafür legen sich diese Leute zu schnell eine Rechtfertigung für ihr Handeln zurecht.« Aber so mancher neigt zu einer überakzentuierten Freundlichkeit, die ihr gleichfalls komisch vorkommt.
Gesine Schwan ist damals trotzdem mit dem Gefühl in die Bundesversammlung gegangen, gewinnen zu können. Zumindest im zweiten oder dritten Wahlgang. In der Nacht vorher hat sie gut geschlafen, daran erinnert sie sich, weil sie sonst oft schlecht schläft. Vor allem, wenn sie sich überfordert fühlt, von all den Gedanken in ihrem flirrigen Kopf. Als der Versammlungsleiter ihr nach der Stimmauszählung zuflüsterte: »Köhler hat es«, da kniff es kurz mächtig in ihrem Bauch. Sie hat es sich nicht anmerken lassen: »Das Gefühl kannte ich schon. Ich wusste, es muss weitergehen.« Bei diesen Worten entschleunigt sich die enorme
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