Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
Ressourcenknappheit aus der Tschechoslowakei importiert werden. Und waren eben viermal so schwer wie die einheimischen Modelle, auf die das Dresdner Gleissystem ausgelegt war.
Spätestens an diesem Tag in Essen, als er die unerreichbaren Spielsachen anfassen durfte, hat Wolfgang Berghofer verstanden, dass es nicht mehr länger möglich sein würde, siebzehn Millionen Menschen vorzuenthalten, was für ihre westdeutschen Verwandten Standard ist.
Wolfgang Berghofer ist ein unterhaltsamer Mann. Kernig, aufgeweckt und mit einem listigen Bübchen-Charme ausgestattet, der einem die Phantasie erlaubt, dass er die Instrumente genau kennt, die ihm ermöglichen, seine eigene Wirklichkeit zu schaffen, dort, wo ihm die Wirklichkeit mindestens skurril erscheint. Er redet schnell, er hat viel zu erzählen, und schon das Stichwort Macht inspiriert ihn zu einem furiosen zwanzigminütigen Impulsreferat, inklusive des Initiationsmomentes in Essen. Gestoppt wird er nur von einem krawalligen Handyklingeln. »Ich bin im Interview«, ruft er dem Anrufer entgegen, ohne diesem Gelegenheit zu geben, überhaupt zu Wort zu kommen. Und dass er sich später melde. »So«, sagt er dann, »was wollen Sie denn eigentlich von mir wissen?«
Zum Beispiel wie sich Macht anfühlt in einem System, das Macht durch alle Instanzen delegiert? Ob es eine innere Auseinandersetzung damit gibt, geeignet zu sein für ein befohlenes Oberbürgermeisteramt, Ängste, Zweifel, das Gefühl, am falschen Platz zu sein? Ob die Lust an der Macht mit dem Amt verliehen wird? Wie es sich anfühlt, wenn erst die Überzeugung schwindet, dann das Volk und damit die eigene Bedeutung? Ob er sich gewehrt hat, gegen den unaufhaltsamen Lauf der Zeitgeschichte, oder ob er gar zu seinem Verbündeten geworden ist?
»Tja«, fasst er dann die Vielzahl der Fragen mit einer knappen Antwort zusammen, »die Machtfrage wurde in der Gründungsurkunde der DDR formuliert. Alle Macht dem Staat, also der SED, daran gab es nichts zu rütteln.«
Diesmal braucht es also einen Anstoß zur Ausschweifung. Wie hat sich Macht in Anbetracht dessen in seiner eigenen Biographie gestaltet? »Dazu muss man wissen, die DDR war ein Nomenklatura-Staat.« No-men-kla-tu-ra, wiederholt er jetzt wieder bereitwillig mit erhöhter Lautstärke und Betonung jeder einzelnen Silbe. »Das heißt, es standen Namen in einer Kladde und dahinter, wer über die Person und deren Verwendung zu entscheiden hat.« Vom Schuldirektor bis zum Minister sei das so gewesen. Er selbst war Sportfunktionär, als eine Instanz befahl, er habe zur FDJ zu wechseln. »Das habe ich nicht als Auszeichnung verstanden.« Seine Frau sei aus allen Wolken gefallen, und wenn er in die Bahn stieg, in seiner seltsamen »Anzug-und-hellblaue-Hemden-Uniform«, wurde er schräg angeschaut.
Aber es sei nun mal so gewesen. Diese fatalistische Zusammenfassung nutzt er im Gespräch ebenso nonchalant als rhetorischen Regenerationsraum wie die Ausflüge in Sarkasmus und Zynismus. Die wegweisende Frage der SED-sozialistischen Personalentwicklung habe sich durch seine Laufbahn gezogen wie durch Tausende andere: »Bist du bedingungslos bereit, jeden Auftrag zu erfüllen?« Diesmal wiederholt er »bedingungslos« und das wird er, wie die gesamte Formel des vorausgesetzten Gehorsams, noch unzählige Male während unserer Begegnungen tun. Er sei zögerlich gewesen, als er, lebensfroher Beststudent, die Anweisung bekam, als Mitarbeiter des Zentralrates der West-Abteilung nach Berlin zu gehen. Seine Frau und seine Kinder lebten in Bautzen, also hat er erst mal nein gesagt. »Dann gab man mir zu verstehen: »›Wenn du nicht gehst, fällst du durch die Prüfung, egal wie gut deine Noten sind‹«, erläutert er den ersten praktischen Test seiner Bedingungslosigkeit. »Also habe ich Opportunist gesagt: Ok, ich gehe.« Die Prüfung, gibt er zu, die habe man ihm dann geschenkt.
Mit dem gleichen ironischen Ton wird er sich noch vielfach des Opportunismus zeihen. Er erklärt sich, zwischen den Selbstanklagen, mit seinem unverwüstlichen Glauben daran, einen besseren Sozialismus gestalten zu können, wenn er erst mal dran ist. Wenn keine Instanz mehr hinter seinem Namen gestanden hätte. Aber man müsse auch die Geschichte kennen, die ihn damals auf eine Weise gefügig gemacht hat. Die ihm noch heute weh tut. »Aber die«, konstatiert er ohne Selbstmitleid, »will ohnehin niemand hören.«
Er ist bei der Großmutter aufgewachsen, der Vater war lange schon weg, als die
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