Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
erneut, diesmal mit ihrem persönlichen Programm »Die Demokratiereise« zu verstärken. Als keine Resonanz kam, fragte sie sich erstmals: »Was ist da los?« Und dann auch ihren Vorsitzenden. Eine Antwort erhielt sie auf die Frage nicht. Zumindest keine ehrliche. Zeitgleich bekam sie von ihrem Team, das im Herzen der SPD, im Willy-Brandt-Haus, saß, Hinweise darauf, dass die dortige Arbeit durch Missachtung und mangelnden Informationsfluss torpediert würde. Die große Angst dieser Tage war das Schreckgespenst der Linken, das sich gerade über Hessen ausgebreitet hatte und als bundesweite Götterdämmerung gefürchtet wurde. Eine SPD-Präsidentin, die mit den Stimmen der Linken gewählt würde, konnte ein Fiasko für die bevorstehende Europawahl heraufbeschwören, möglicherweise sogar die nächste Bundestagswahl beeinflussen. Offen diskutiert wurden diese Szenarien nie. Stattdessen gelangten zunehmend Informationen über eine fortschreitende Entfernung zwischen der SPD und ihrer vermeintlichen Wunschpräsidentin an die Medien.
Die Unterfütterung journalistischer Thesen durch Informationen von Strippenziehern aus den eigenen Reihen gilt als belastbarer Beleg für deren Richtigkeit und ersetzt oftmals gründliche Recherche und objektive Bewertung. Häufig werden Machthaber in einer kritischen Karrierephase von vermeintlich Nahestehenden destabilisiert oder an der Sollbruchstelle zu Fall gebracht.
Gesine Schwan hat sich nicht entmutigen lassen, weder durch den inzwischen unübersehbaren Treuebruch ihrer Parteifreunde noch durch zunehmend kritische Berichterstattung. Zunächst fühlte sie sich angestachelt und ließ sich bestärken von den aufmunternden Erfahrungen, die sie im persönlichen Kontakt mit den Menschen weiterhin sammelte. Sie reiste durch die Nation, gewann erneut Herzen und Wahlmenschen und die Gewissheit, die richtigen Antworten zu haben auf die Frage, »was Deutschland braucht, um sich selbst ein bisschen mehr zu vertrauen«. Aber sie tappte nun auch in Fallen, von denen sie bis dahin nicht ahnte, dass es sie gibt. Eine falsche Formulierung nur, vielmehr eine Ungeschicklichkeit als eine grundsätzliche Haltung, löste dann einen bis dahin ungekannten Widerstand gegen sie aus.
Die DDR sei nicht einfach ein Unrechtsstaat gewesen, hatte sie in einem Interview auf der Zielgeraden der Kandidatur gesagt und damit einen Aufschrei der Empörung ausgelöst. Selbst in der Autorisierung des Gespräches war ihr das Skandalon dieser Aussage nicht aufgefallen. Vielleicht, weil ihr die Bereitschaft ihrer Gegner zum Angriff nicht aufgefallen war. Das änderte sich im Verlauf dieser Diskussion. Sie weiß, dass sie ihren Standpunkt anders hätte formulieren können, aber sie wehrt sich dagegen, Techniken anzuwenden, die »zumeist Luftblasen produzieren, nur um keine Angriffsfläche zu bieten«. Gleichwohl hat es sie enttäuscht zu spüren, wie sich selbst vermeintliche Freunde nach und nach von ihr abwandten. Auch diejenigen Medien, deren Unterstützung sie sich nach den Erlebnissen der ersten Kandidatur erhofft hatte. »Jeder, der sich mit meiner Biographie beschäftigt hat, musste wissen, dass ich vieles, was in der ehemaligen DDR passierte, für Unrecht hielt.« Laut gesagt hatte sie das auch. Selbst in einer Zeit, als es nicht opportun war. Als sich andere geschmeidig heranwanzten an das Führungspersonal der DDR, hat Gesine Schwan eine auf demokratischen Werten basierende antikommunistische Haltung eingenommen. Damals wurde sie dafür angegriffen. In den Archiven wäre das zu finden gewesen, aber diesmal passte eine andere Lesart besser.
Als das Fanal gesetzt war, gab es nichts mehr zu gewinnen. Aber sie hat weitergekämpft. Nun nicht mehr nur um das Amt, sondern auch gegen ein Image, das nicht »meiner Wahrnehmung entsprach«. Dabei verzettelte sie sich zunehmend in der aktiven Bildbearbeitung. Sie begann, sich zu wehren, ließ sich von bissigen Kommentaren verletzen und verlor die Konzentration auf ihre Stärken. Als sie dann mit ihrer Warnung vor der Wut derer, die unter den Folgen der Wirtschaftskrise leiden, einen ungeahnten Wirbel entfachte, fühlte sich die geballte politische Phalanx, von Parteifreunden bis zur Kanzlerin, berufen, öffentlich gegen sie Stellung zu beziehen. Das Herbeireden sozialer Unruhen warf man ihr vor, verstanden hat sie diese Deutung bis heute nicht. Die nachträglichen Versuche, den Furor mit Dementis und Richtigstellungen zu bändigen und die Stimmung wieder in ihre Richtung zu
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