Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
seit vielen Jahren angehörte und der sie sich verpflichtet fühlte, »aus einer Kalamität zu helfen«.
Mit ihrer einnehmenden Mischung aus Menschlichkeit und Ratio wurde Gesine Schwan schnell zur Kandidatin der Herzen. Sie sprach über die Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Wandels ebenso wie über den Tod ihres ersten Mannes und nahm die Menschen überall im Land für sich ein. Parallel zu ihrer Wahlkampftour gewann sie die Umfragehoheit und den ein oder anderen Wahlmann aus dem Lager des politischen Gegners, wenn auch erwartungsgemäß keine Mehrheit in der Bundesversammlung. »Horst Köhler wird Präsident und Gesine Schwan gewinnt«, war eine der Schlagzeilen dieser Tage. Die Zeit der Bewerbung war ein zustimmungsreicher, zweieinhalbmonatiger Spaziergang, getragen und unangefochten, beharkt nur von den Störversuchen einzelner Medien, die über die Desavouierung seiner Kandidatin den Kanzler zu attackieren versuchten.
Beschwingt von dieser Erfahrung und überzeugt vom Gewinn für das Land, meldet sie ihr Interesse an einer zweiten Kandidatur an. Und begeht damit den undefinierten Tabubruch. Die Anfragen und die Ermunterungen kommen nun nicht mehr aus der Parteispitze, sondern vornehmlich aus der zweiten Reihe. Sie nimmt sie dankbar auf, voller Zuversicht, auch die mächtige SPD-Führungstroika Peer Steinbrück, Frank-Walter Steinmeier und Franz Müntefering erneut hinter ihrer Position zu versammeln.
Dass es diesmal eine kapitale Veränderung zu ihrem ersten Anlauf auf das Amt gab, hat sie gänzlich unterschätzt. Nun bestand numerisch tatsächlich die Chance zu gewinnen. Aus der symbolischen Kandidatur war eine reale geworden. Das wohlgefällige Schaulaufen zu einer knallharten Machtfrage. Erstmals gibt es dezidierte Gegner. Sie erkannte diesen »radikalen Unterschied« nicht sofort, aber sie spürte die Zurückhaltung ihrer Parteiführung. Eine Weile nährte sie sich aus halbherzigem Zuspruch. Franz Müntefering ermutigte sie mit einer Spitze gegen die Hauptakteure der akuten Koalitionsdebatte seiner Parteiführung: »Damit kommt endlich wieder Substanz in den öffentlichen Diskurs.« Peter Struck, der sich anfänglich öffentlich klar für eine zweite Amtszeit Horst Köhlers ausgesprochen hatte, bekannte sich in fatalistischem Fraktionszwang zu seiner Parteigenossin: »Wenn es nun mal jetzt so ist.«
Die Zeichen der Abkehr erreichten sie schleichend. Im Gleichklang mit dem schwindenden Vertrauen in die Parteispitze und damit in ihre eigene Sicherheit veränderte sich auch die Wahrnehmung von außen. Im Verlauf des Wahlkampfes, der diesmal ein Jahr dauerte und eher einer Bergwanderung als einem Spaziergang glich, verfestigte sich das von den Medien hinlänglich transportierte Bild der überehrgeizigen Aspirantin, die ihren Machtanspruch über die ungeschriebenen Gesetze der Politik stellt. Dass dieses Vergehen nur deshalb einen solchen »Sturm der Entrüstung« entfachen konnte, weil es eine Frau ist, die nach der männlich besetzten Macht griff, hält Gesine Schwan für selbsterklärend: »Ehrgeiz wird bei Frauen übelgenommen.« Und auch wenn sie sich selbst nicht so sieht, »weil es so was Ellenbogenhaftes hat«, weiß sie, dass es so manchen gibt, »der mich für eine ehrgeizige Ziege hält«.
Es gibt diese besonderen Zuschreibungen im Falle des weiblichen Gestaltungswillens, die auch in anderen Frauen-Biographien ersichtlich werden. Ist es für Männer nach wie vor selbstverständlich, nach Macht und Einfluss zu streben und dabei auch Regeln zu brechen, werden Frauen in ihrer öffentlichen Darstellung skandalisiert, sobald ihr Auftreten von der genormten weiblichen Kodierung abweicht. Die Verkehrung des Ehrgeizes zu etwas Hysterischem, die Reduktion der Kandidatin auf den Machtanspruch sind öffentliche Automatismen.
Beim ersten Mal war ihr Frausein noch die Stärke der Kandidatur, der Mittelpunkt der Kampagne, die den inhaltlich aussagekräftigen Titel »Frau nach Rau« trug. Die Unmöglichkeit ihres Wahlsieges machte sie zum idealen Feigenblatt der kanzlerischen Frauenförderung.
Die unverstellte Erkenntnis, dass die Unterstützung in der eigenen Partei fehlte, erlangt sie nicht zu einem bestimmten Anlass, sondern über Wochen in kleinen Nadelstichen. Die SPD stand vor bedeutenden Landtagswahlen, vier Jahre zuvor war die Sympathieträgerin auf jedem Marktplatz als sozialdemokratische Botschafterin willkommen und gefeiert worden. Sie bot dem Parteivorsitzenden an, die Landtagswahlkämpfe
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