Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
Geschwindigkeit ihres Sprachflusses, und sie erzählt aus der Zeit ihres Lebens, die sie wie keine andere geprägt hat und in deren Mittelpunkt eines jeden Tages stand, dass es irgendwie weitergehen musste: »Mit der Krebserkrankung meines ersten Mannes hat alles eine neue Dimension bekommen. Jede Form des Schmerzes ist seither eine umso vieles schwächere Version.«
Sie hat schon dann und wann in Interviews über diese Erfahrung gesprochen. Über die Depression, in die sie nach dem Tod ihres ersten Mannes Alexander Schwan fiel, die sie ohne ärztliche Hilfe nicht überwunden hätte. Sie erzählt das auch, um Menschen zu helfen, Mut zu machen beim Verarbeiten von Trauer und Schwäche. Aber sie erzählt es vor allem, weil es zu ihr gehört. In persönlichen Momenten wie diesen, von denen es im Austausch mit Gesine Schwan überraschend viele gibt, manchmal ganz unvermittelt, eingebettet in Auseinandersetzungen zu weltpolitischen Fragen, wird aus der kampfeslustigen Sprachakrobatin eine berührend empfindsame Frau. Sie traut sich diese Sensibilität, die sie eine erhebliche nennt, weil sie keinen Grund hat, es nicht zu tun. Auch wenn sie Haltung über die Jahre durch dramatische Lebenseinschnitte gelernt und perfektioniert hat. Als Dekanin musste sie nach dem Verlust ihres Mannes ihre Trauer auf den Feierabend verschieben und die Tränen zu Hause weinen, wenn die Wohnungstür geschlossen war.
Im Vergleich zu den existentiellen Einschnitten, die sie erlebt hat, war es keine fundamentale Erschütterung, nicht Bundespräsidentin zu werden. Auch nicht beim zweiten Versuch, als ihr sogar Stimmen aus dem eigenen Lager fehlten. Gleichwohl war ihr der Tag schwer, forderten die obligatorischen, fototauglichen Glückwünsche an den Sieger und die angemessene, medial vermittelbare Enttäuschung ihre ganze Kraft. Contenance, darin war sie gut trainiert. Teilnehmer der Party, die sie am Wahlabend mit ihrem Team und Unterstützern feierte, beschreiben anerkennend ihren würdevollen Auftritt und glauben gar, so etwas wie Erleichterung in ihren Gesichtszügen erkannt zu haben. Diesem Eindruck widerspricht sie energisch. Nein, Erleichterung habe sie keine empfunden. Und die Professionalität im Wegparlieren der Niederlage sei vielmehr ihre Pflicht gewesen als das, was sie an diesem Abend tatsächlich fühlte.
Sie hat drei bis vier Monate gebraucht, um »in die Normalität zurückkehren«. Die Belastung hat mit der Zeit nachgelassen. Ihr Mann Peter Eigen hat sie durch diese mühsame Zeit getragen, dabei geholfen, ihren Lebensstil wiederzufinden, Wunden zu lecken, das ausgebremste Tempo anzunehmen. »Die Zeit des Wahlkampfes hat mich in ein wahnsinniges Anstrengungshoch versetzt, da musste ich erst mal runterkommen«, beschreibt sie die Hochtourigkeit adrenalingesteuerter Wochen und Monate, die sie erst in der Ruhe neugewonne- ner Nachmittage am See in ihrem ganzen Ausmaß anfühlte. So wie die Intensität mancher Verletzungen. Und doch wäre sie lieber oben geblieben. Man glaubt sofort, dass sie auch auf diesem Geschwindigkeitslevel Präsidentin hätte sein können. Eine, die komplette Amtszeiten und mehr auszufüllen imstande ist.
Aber das hat sich erledigt, es reicht ihr nun, Präsidentin der Humboldt Viadrina School of Governance zu sein. Jetzt ist die Schule ihr Land. Sie sagt, sie sei gern hierher zurückgekommen. Und alles, was sie sonst noch bewegt, das bringt sie bei ihren unzähligen Auftritten unters Volk. Ob als Rednerin bei Gewerkschaftsverbänden, Laudatorin oder Preisträgerin eines Winzerordens, Gesine Schwan ist ein gerngesehener Gast. Dazu immerhin haben die Kandidaturen mindestens getaugt. Als preiswerte PR-Reise für ihr Unternehmen und zum »Agendasetting«, wie es in ihrer Sprache heißt.
Damit ist doch eine Menge erreicht, schließt sie versöhn- lich und nimmt ihre beiden Koffer als Signal zum unvermittelten Aufbruch. »Und wissen Sie was«, ruft sie mir zu, »als ich vorhin mit dem schweren Gepäck hier ankam, da kramte gerade ein älterer Herr in unseren Prospekten herum und als er mich sah, da sagte er, ›Gesine, du bist doch Gesine, nicht?‹ Das hätte es vorher nicht gegeben.« Das Gepäck hat sie dennoch allein getragen.
Die Abkehr der eigenen Leute, das Bröckeln belastbarer Loyalitäten sind untrügliche Hinweisschilder für den Machtverlust. Und oftmals auch für dessen Unumkehrbarkeit. Schmerzhafte Entsolidarisierung trifft vielmehr den Menschen als den Funktionsträger und bleibt auch
Weitere Kostenlose Bücher