Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
amerikanischen Traums, der jedem alles möglich – und damit jeden selbst zum Architekten seines Lebens macht, suchte er nach einer Aufgabe, die seine Grundbedürfnisse sicherstellt. »Keine nassen Füße zu bekommen und auf Dauer lieber Auto fahren als U-Bahn«, waren die ersten Zielsetzungen seines folgenden Karriereweges.
Was im Blick auf den weiteren Verlauf Ron Sommers und anderer vielbeachteter Lebensgeschichten nach Koketterie klingen mag, ist die unprätentiöse und verbindende Wirklichkeit vieler vermeintlicher Helden.
Keiner meiner Gesprächspartner erzählte mir von einem Karriereplan, der dem eigenen Weg als Motor oder Leitlinie diente. Selten war die Strahlkraft von Macht und Status treibender Impuls, sich auf die Strecke zu begeben. Ganz im Gegenteil: Die Freiheit der Unbedarftheit, die Unkenntnis der Anforderung einer Position und der Radikalität der begleitenden Faktoren machten den Start oft überhaupt erst möglich.
»Es gab mehrere Situationen in meinem Leben, in denen ich, hätte ich gewusst, wie groß die Aufgabe ist, gar nicht losgegangen wäre«, beschreibt die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast, in einem Radiointerview eine wiederkehrende Situation ihrer beruflichen Laufbahn. Abgehalten haben diese Gedanken sie jedoch nicht davon, sich in ihrem politischen Leben immer wieder um neue Positionen zu bewerben. Auch, als die Größe der Aufgaben und der Verantwortung längst fassbar für sie geworden war und damit auch das Ausmaß des Risikos. Irgendwann setzt eine Kraft ein, die stärker ist als die eigenen Zweifel. Die durch Erfahrungen gewonnene Verlässlichkeit der eigenen Fähigkeiten. Und eine Dynamik, die den Werdegang über das eigene Tempo hinaus zu beschleunigen vermag.
Eine besondere Begabung verleiht eine Identität, die den Begabten über seine eigentliche Persönlichkeit erhebt. Oder die eigene Persönlichkeit erst zu entdecken hilft. Die Balletttänzerin Heather Jurgensen, achtzehn Jahre lang erste Solistin an John Neumeiers gefeiertem Hamburger Ballett, hat nie dar- an gedacht, Berufstänzerin zu werden. Obwohl tanzen längst viel mehr als ihre Berufung war. In der Schule wurde sie rot, wenn sie aufgerufen wurde. Forderten die Lehrer sie gar zu mündlicher Mitwirkung auf, kamen ihr die Tränen. Sie hat sich nirgends richtig gefühlt, »alles war eine Qual«. Mit dem Tanz findet sie Sicherheit, eine Identifikation. »Ich wurde ein anderer Mensch, als ich tanzen konnte.« Wenn die Bedeutung der Leistung für die Persönlichkeit ein solches Gewicht hat, definiert sich daraus auch der Maßstab: »Mein Anspruch war immer viel höher als mein Leistungsvermögen«, erzählt die Primaballerina von ihrem Drang nach Perfektion, der sie zu ergreifenden Aufführungen und zu psychischer Dauerbelastung führte. Das Ideal habe sie nie erreicht, aber manchmal, wenn sie in die Nähe kam, hat sie Zufriedenheit empfunden. Bis zum Training am nächsten Tag. Nach einer ihrer Meinung nach mäßigen Vorstellung hat sie mit sich gehadert, auch wenn das Publikum hingerissen war. »Ich habe immer die ideale Interpretation angestrebt, das war mein Antrieb. Tanz ist so persönlich, ich stand nackt vor den Menschen auf der Bühne.« Rot wurde sie dabei nie. Sie hat sich in eine andere Person hineingetanzt, mit ihrer ganzen Hingabe. Das Publikum sollte die totale Verschmelzung mit ihren Figuren fühlen. Jeden Abend. Acht Vorstellungen in der Woche.
Warum sie, das angstbesetzte Mädchen, bereit war, für das Ballett ihre Familie in der Provinz zu verlassen und sich in New York einer hochcompetitiven Tanzakademie anzuschließen, kann sie sich heute nicht mehr erklären. Vermutlich, weil es keine Erklärung gibt. Ihr Talent zeigte ihr einen Weg auf, der keine Entscheidung verlangte, der einfach vor ihr lag. Auf einmal war alles so, wie es in ihre Welt gehörte. Kein Gefühl der Fremdheit beim Bemühen zu verstehen, was ihre Mitschülerinnen beschäftigte, keine Scham über den zu knabenhaften Körper, keine Anstrengung mehr, dazugehören zu müssen. Hier waren alle wie sie. Alles war Tanz. Und sie war mit allem, was sie tat, Tänzerin.
In Heather Jurgensen gab es keine Disposition für ihre Kunst, auch keine Vorbilder. Sie hatte die Bereitschaft, sich ihrer besonderen Begabung ganz und gar hinzugeben und dabei über Grenzen, auch schmerzvolle, zu gehen.
Das Glück derjenigen, die eine vergleichbare Lebensleidenschaft für sich entdecken, liegt darin, dass die Grenzüberschreitungen für sie
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