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Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Titel: Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Kraus
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Kraft, die ihre Worte entfachen, entsteht aus ihrer Präsenz, aus ihrer Überzeugungskraft, dieser Kirche eine liberalere, offenere Ausrichtung geben zu können. Entgegen aller Erwartungen, vor allem ihrer eigenen, wird sie schon im ersten Wahlgang gewählt und erlebt den »ergreifendsten Moment meiner beruflichen Laufbahn«.
    An ihre Reaktion in dem Augenblick, als das Auszählungsergebnis »durchsickerte«, erinnert sich Maria Jepsen in allen Facetten. Sie habe ein sehr gutes Gedächtnis. Dessen muss sie sich selbst an dieser Stelle kurz versichern, denn ihr Gedächtnis ist ein entscheidender Faktor in ihrer Geschichte. »Erst ist mir ein bisschen schlecht geworden und dann bin ich dem Fahrer des Bischofs um den Hals gefallen«, erinnert sie sich an ihre überwältigende Sprachlosigkeit. »Es war wie im Film, Blumen flogen von der Empore.« Frauen aus ganz Norddeutschland haben ihr gemeinsam fünf Segensteppiche gebastelt und feierten damit den überfälligen Schritt hin zur protestantischen Gleichberechtigung. Dann sang man ihr ein Lied, und sie empfand ungetrübtes Glück, als sie ihren Blick über die elektrisierte Synode und in die segensreiche Zukunft ihrer Kirche schweifen ließ. Die Worte, sagt sie aufgekratzt, fand sie erst wieder, als sie am Abend in eine Live-Schaltung der Tagesschau über dieses international beachtete Ereignis sprechen sollte.
    Sie hätte den Michel gern wieder gefüllt, als sie sich aus ihrem Amt verabschieden musste. Aber das ehrwürdige Wahrzeichen der Hansestadt wurde ihr an diesem Tag verwehrt. Er sei belegt, ließ man sie wissen, Terminüberschneidungen, bedauerlicherweise. Sie hat es anders interpretiert.
    Maria Jepsen hat dieses Ende nicht gewollt, und verstehen kann sie es bis heute nicht. Sie hat die Verantwortung übernommen für einen Vorfall, für den sie sich nicht verantwortlich fühlt. Anders als Margot Käßmann hat sie keinen persönlichen Fehler begangen. »Ich habe den Kopf hingehalten für meine Kirche«, sagt sie mit dem Versuch, die Bitternis in ihrer Stimme zu unterdrücken. Aber sie tut sich schwer, die unterschiedlichen Einordnungen zu akzeptieren. Ihr Rücktritt wurde nicht laut gefordert, aber auch nicht öffentlich bedauert. Eine angeschwipste Autofahrt, das kann sich jeder vorstellen und macht das Urteil dementsprechend milde, den Delinquenten menschlich in den Augen der Ankläger. Und zum belebenden Element vieler Kaffeetischpläusche.
    Ihr Fall ist schwieriger. Auch subtiler. Zum ersten Mal erfährt Maria Jepsen durch den offenen Brief eines Opfers von dem Jahrzehnte zurückliegenden Missbrauchsvorwurf gegen einen Pastor in ihrem Sprengel. Sie kannte ähnliche Vorkommnisse. Seit sie Bischöfin ist, wurde sie immer wieder mit dieser dunklen Seite ihrer Kirche konfrontiert. Weil sie eine Frau ist, glaubt sie, und weil es den Opfern deshalb leichter fiel, sich zu zeigen. Sie hat versucht, die stummen Anklägerinnen zu unterstützen, zur Aussage zu bewegen, um eine gerechte Strafe und die Chance auf Heilung zu erreichen. Aber die Scham der Frauen war oft größer. Und Maria Jepsens Engagement einmal mehr einsam.
    So wie in den Jahren zuvor, als der Kampf zu ihrem Alltag gehörte, gegen all die Missbilligungen und Intrigen aus dem reaktionären Teil der Kirche. Gegen die Ablehnung, die sie begleitete, wenn sie sich für eine offenere Ausrichtung ihrer Kirche einsetzte. Gegen hinterhältige Schurkenstücke und offene Widerstände wegen ihres Engagements für Randgruppen. Sie ließ sich nicht entmutigen. In ihrem Protestantismus sollte jeder ein Zuhause haben: »Ich war genauso oft in der Handelskammer wie bei den Obdachlosen und anderen Außenseitern der Gesellschaft.« Für eine Öffnung im Umgang mit verdruckster Homosexualität hat sie gestritten und die Gefahren einer anhaltenden Tabuisierung aufgezeigt. Auch wenn sie dafür drangsaliert wurde. Sie sei härter geworden mit der Zeit und dickfelliger. Irgendwann sagte ein Kollege zu ihr, sie sei der einzige Mann in kirchlicher Leitungsfunktion. Sie hat das nicht sofort verstanden. Jetzt grinst sie wohlwissend über diese Anekdote und kostet mit einer gedankenvollen Pause aus, dass damit die Wertschätzung dafür gemeint war, dass sie sich nicht brechen lässt.
    Nachdem der offene Brief sie erreichte, hat sie sofort das verantwortliche Kirchenamt unterrichtet und darauf gedrängt, den Fall zügig aufzuklären und Konsequenzen zu ziehen. Es sollte eine Arbeitsgruppe gebildet werden. Alles lief schleppend.

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