Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
Vorfreude auf ihre neue Aufgabe. Längst ins Aktenstudium vertieft.
Verbiegen werde sie sich auch in Zukunft nie und nicht all- zu viel auf das Urteil anderer geben. Aber aufmerksamer mit Menschen, prüfender mit ihrem eigenen Gespür, das sei sie auf jeden Fall geworden. Und deshalb dankbar, auch für die niederschmetternden Erlebnisse. »Wenn alles rosig ist, verdrängt man ja viele Dinge.«
Und während sie so sinniert, über den regionalen Rotwein und die Vielfarbigkeit der Erinnerungen und Emotionen, fällt ihr ganz plötzlich wieder ein, wie gut sie es eigentlich hat. »Ich habe Erfahrungen gemacht, die manche in ihrem ganzen Leben nicht machen. Und das mit dreiundvierzig. Ich habe noch fünfundzwanzig Jahre Berufsleben vor mir und alle Möglichkeiten für die Zukunft. Entscheidend ist es, mit Stolz zurückzublicken. Ich kann außergewöhnlich zufrieden sein.«
Der Tag X
»Du kannst nie tiefer fallen als in Gottes Hand.«
Margot Käßmann
Du kannst nie tiefer fallen als in Gottes Hand. Die Überschrift des formvollendeten Rücktritts. Und einer der Sätze, mit denen Margot Käßmann eine Popularität erreichte, die sie bis hin zur Kandidatin für das Bundespräsidentenamt erhob.
Maria Jepsen lacht kurz auf bei der Erwähnung der berühmten Liedzeile und ihrer noch berühmteren Weggefährtin. Natürlich kennt sie Margot Käßmann gut. Und dann wird ihr Lachen stumm. Sie schätzen einander. Als erste protestantische Bischöfin des Landes hat sie den Weg für Margot Käßmann geebnet, viele Kämpfe ausgefochten, die für die Nachfolgerin nur noch in moderaten Nachwehen bemerkbar waren, so dass die sich um die großen Zusammenhänge kümmern konnte. Um Afghanistan zum Beispiel, die Lage am Hindukusch. Sie sagt das ohne Argwohn trotz der unterschiedlichen Beachtung ihrer beiden »Fälle«. Dass Margot Käßmann sich etwas traut, sich einmischt, das findet sie gut. So wie sie es selbst auch immer gemacht hat, wenn auch mit weitaus geringerer öffentlicher Aufmerksamkeit. Die lebensermutigenden Bestseller ihrer Kollegin hat sie allerdings nicht gelesen. Das ist nichts für sie. Aber es sei schon stimmig, sich auf diese Weise zu Wort zu melden, »wenn man ein ausgeprägtes Wahrnehmungsbedürfnis hat«.
Da ist sie anders. In Maria Jepsens Haus in Husum ist alles still. Nur eine alte Wanduhr unterbricht im Halbstundenrhythmus die Unterhaltung. Und mit etwas größerem Abstand ihr Mann, der fürsorglich den Stand in der Kaffeekanne und beiläufig der Gesprächsatmosphäre überprüft. Maria Jepsen spricht leise, erstaunlich für eine Frau, die so lange gezwungen war, sich Gehör zu verschaffen. Die Lautstärke, mit der der Missbrauchsskandal in ihrem Sprengel sie zum Rücktritt gezwungen hat, scheint unwirklich an diesem Ort.
Es braucht noch ein behutsames Herantasten und zahlreiche Wanduhrenschläge, bis wir über das Beben sprechen, das auch Maria Jepsens Leben erschütterte. Wir überbrücken diese Distanz zur Tragödie ohne sprachlose Pausen, erzählenswerte Ereignisse gibt es in ihrer Laufbahn genug. Sie war die erste Frau, die in dieses Amt gewählt wurde. Nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt. Eine epochale Entscheidung für eine patriarchal geführte Kirche. Umso erstaunlicher in Anbetracht der zarten, beschützenswert wirkenden Frau, die mir gegenübersitzt.
Kurioserweise ist auch ihre Wahl zur Bischöfin mit Rücktritten verbunden. Da lacht sie wieder, diesmal bleibt die Heiterkeit für den Rest der Episode und erzählt putzmunter vom Widerstand, der sich formierte, als ihre Kandidatur »ruchbar« wurde. Eine Riege konservativer Betonköpfe drohte mit Austritt, falls man sich tatsächlich erlaube, eine Frau in dieses Amt zu befördern, und versuchte damit eine gesinnungskonforme Lösung zu erpressen. Medien seien instrumentalisiert worden, diese »Bedrohung« abzuwenden, Boykotte für das Wahlprozedere wurden angedroht. Maria Jepsen fühlte sich zusätzlich motiviert, den männlichen Favoriten herauszufordern, »wir Frauen kneifen nicht«, vielmehr aufmüpfig als siegesgewiss. Beteiligte sagen, sie hielt an diesem Tag in der proppevollen Hamburger Hauptkirche St. Michaelis die Rede ihres Lebens. Sie selbst stapelt tiefer, aber sie habe sich in dieser Situation durchaus angestachelt gefühlt von der siegesgewissen Ansprache des adäquateren Aspiranten. Die Kirchenfrau ist durch viele Kämpfe gestählt, als sie das Duell mit dem übermächtigen Gegner mit gewinnendem Übermut annimmt. Die
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