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Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Titel: Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Kraus
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wie es auch ihre Glaubensschrift fordert. Aber alle wuschen ihre Hände in Unschuld.
    Zu der internen Isolation kam die mediale »Hexenjagd«. Die Opfer verlangten nach einem Schuldeingeständnis, die Öffentlichkeit nach personifizierter Buße. Klärung, die den Zorn dämpft und quälende Fragen beantwortet. Wenn Maria Jepsen sich in den Erinnerungen dieser Tage verliert, vermittelt der Eindruck, ihr Martyrium habe unendlich lange gedauert, ein Bild vom Ausmaß ihrer inneren Pein. In der Beschreibung vieler Szenen ringt sie mit ihrem Anspruch an Stolz und Würde und der spürbar brodelnden, unchristlichen Wut. In keinem Gespräch nennt sie einen Namen, niemals findet sie einen Abnehmer für die diffuse Schuld. Die Freisprechung, die sie mit ihrem Rücktritt für ihre Institution zu leisten glaubte, bleibt ihr die Institution bis heute schuldig. Auch, weil die damaligen Personalvorgänge noch immer nicht aufgeklärt sind. Das zumindest hatte sie erwartet, als nach ihrem Rücktritt endlich eine Kommission zur Aufarbeitung der Geschehnisse gegründet wurde: »Das war ein kleiner Glücksmoment.« Vielleicht hätte dann alles auch für sie noch einen Nutzen gehabt. Wenn auch keinen Sinn.
    Der Alltag sollte weitergehen in diesen ehrabschneidenden Tagen. So fuhr die Kirchenfrau pflichtgemäß zur Einweihung einer Friedhofswiese, ausgerechnet in Ahrensburg. Ihr Beraterkreis erwartete eine Demonstration der Opfergruppe und riet ihr, die Veranstaltung abzusagen. Aber Maria Jepsen stellte sich, so wie sie es gewohnt war. Sie sprach über die Schuld ihrer Kirche und über die Scham. »Dieses Zeichen war mir wichtig.«
    Auf ein Zeichen aus ihrer Verwaltung wartete sie vergeblich. Die Krisenstäbe, sagt sie, hätten sie zu diesem Zeitpunkt längst aufgegeben und setzt damit wenig überzeugt voraus, dass es zu einer Zeit den Versuch ihrer Rettung gegeben hat. Tatsächlich sind es die eigenen Leuten, die sie auf die Heftigkeit der Attacken, sogar der anonymen im Internet, aufmerksam machen. Und auf die Anfechtbarkeit ihrer Integrität. Ihr wertvollstes Gut.
    Die Unentrinnbarkeit des Endes wurde ihr vollends bewusst, als sie, wie so viele Male zuvor, im Michel predigen sollte. Und erstmals Angst davor hatte: »Ich habe mich vor Protesten gefürchtet, ich fühlte mich nicht mehr imstande, auf der Kanzel zu stehen.« Diesmal boten die Kirchenvorsteher der Bischöfin Hilfe an. Geleitschutz, falls es zu Ausschreitungen kommen sollte. Sie fand das absurd. Ein Kirchenhaus als Ort der Randale, eine Bischöfin von Ordnern eskortiert. In diesen Stunden entschließt sie sich zum Rücktritt. Den Gottesdienst hielt sie trotzdem. Vor einem friedlichen Auditorium in ihrer Kirche: »Die Leute waren nett, fast alle Touristen.«
    Sie besprach sich einzig mit ihrem Mann und ließ sich in ihrer Entscheidung bestärken. Er schaute über den finalen Text der Abschiedserklärung, den ersten aus der gemeinsamen Feder, dessen Inhalt ihr falsch erscheint. Zwei Jahre hätte sie ihre Aufgabe gern noch erfüllt, dann sollte ohnehin Schluss sein. Aber davor wollte sie den Übergang zur neuen Nordkirche mitgestalten, ein Ziel, auf das sie jahrelang hingearbeitet hatte. Am nächsten Morgen beim Frühstück schauten sie die Rede gemeinsam noch mal an, aber es blieb beim ersten Entwurf.
    Dann ging sie erst mal zum Zahnarzt, die Wurzelschmerzen waren erheblich und eine intensive Behandlung dringend notwendig. Die Schelte der Ärztin ob der gewohnten Terminknappheit kam ihr wie ein schlechter Scherz vor. »Ich dachte nur: Bald werde ich eine Menge Zeit haben.« Gesagt hat sie nichts und die fürsorgliche Tirade über sich ergehen lassen.
    Am Nachmittag des Rücktrittstages absolvierte Maria Jepsen noch eine Sitzung. »Von zwei Uhr bis halb vier«, erinnert sie sich in verschwommenen Bildern an handyspielende Kollegen und die finale Demütigung, die sie dabei empfunden hat. Dann geht sie zur Pressekonferenz und verkündet ihren Abschied. Nüchtern, ohne stilbildende Elemente. So, wie sie ist.
    Auch von den Tränen danach erzählt sie mit einer gehaltenen Distanz. Zwei Tage lang ist sie kaum auf die Straße gegangen, weil sie Furcht hatte, vor der Spiegelung der Schande im Blick der Menschen. Am dritten Tag war Sonntag, und sie fuhr nach Lübeck zum Gottesdienst, um Trost zu finden und eine Chance auf Unentdecktheit. Und um sich zu verabschieden von einem Gotteshaus, das ihr viel bedeutet hat. Sie sah eine Bekannte im Dom, die Tränen in den Augen hatte, und glaubte

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