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Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Titel: Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Kraus
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muss sie auch niemanden »mitnehmen«. Jetzt könnte sie allerdings posten, dass sie auf dem Weg ins Daimler-Stadion ist, ohne auf die prompte Frage antworten zu müssen, ob sie die Karte auch rechtmäßig gekauft habe. Sie wählt dieses Beispiel gezielt aus, weil sie sich als Umweltministerin mal in einem Verfahren für zwei Logenbesuche beim Energieversorger ENBW rechtfertigen musste. Und weil sie illustrieren will, dass ihr manches komisch vorkommt bei der Beurteilung von Verhältnismäßigkeit. Und in der Politik insgesamt.
    Sie hat die Abstimmung ihrer Parteikollegen nicht verstanden, als sie dem Wahlsieger die Hand zur Gratulation reichte. Aber das sagt sie so direkt nicht. Dass es dabei nicht in erster Linie um Inhalte ging, sondern ein Zeichen gesetzt wurde, umschreibt sie mit staksiger Professionalität.
    Nur in den kleinen Pausen stören immer wieder Erinnerungsblitze die sorgsame Verarbeitung. Die Leere zum Beispiel, die sie an diesem Abend ganz und gar einnahm und für Tage nicht mehr verließ. Das Zittern »in jedem Nerv des Körpers«, die Unsicherheit und die Frage, wie geht es jetzt weiter?
    Sie hat dann erst mal »gefühlt tagelang« geschlafen, bewusst keine Zeitung gelesen und Abstand gesucht zu den Bildern und Erfahrungen der vorausgegangenen Monate. Den Halt und die Ruhe, die sie bis dahin immer fand, wenn sie den Stuttgarter Hügel hinter sich ließ, bot ihr das beschauliche Zuhause in dieser Zeit nicht. »Ich wollte am liebsten sofort wieder reinspringen«, verrät sie ihre Fluchtimpulse vor den Dämonen der Stille. Ein Angebot gab es schnell, eines sogar, das sie gereizt hätte. Aber es hat dann doch nicht geklappt. Darauf folgte ein noch tieferer Fall, »obwohl ich wusste, dass es zu früh gewesen wäre«.
    Das Ausräumen des Büros sei ein Augenblick der Katharsis gewesen, ein brutaler Abschluss, der ihr tagelang bevorstand. Aber eben auch eine innere Reinigung. Das Zurücklassen der unerledigten Dinge, die Schmerzlosigkeit, mit der sie das Unvollendete anderen überlassen konnte, empfand sie als zaghaften Schritt in die Freiheit.
    Für den entschlossenen Schritt brauchte sie noch einen weiteren Schubser, auch wenn das natürlich nicht so beabsichtigt gewesen ist, wie sie aufgeräumt versichert. Sie hat ihrer Partei noch mal ein Signal geben wollen. Zeigen, dass sie nicht vergrätzt ist über die Missachtung ihrer Kompetenz und auch nicht zu abgehoben für die politische Kleinarbeit. Auf Bezirksvorstandsebene hat sie ihren vorerst letzten Hut in den Ring geworfen, gelassen und siegessicher. Und erneut verloren. »Das Ergebnis war im ersten Moment blöd, im zweiten war es die Chance, jetzt tatsächlich frei zu sein.« Auch wenn der zweite noch eine Zeit auf sich warten ließ. Sie hat das Prozedere über sich ergehen lassen, »in den Bauch geatmet«, wütend diesmal, weil sie die Taktik des Widersachers verachtet: »Delegierte kann ich anrufen, Wähler nicht.« Und über die Sticheleien der Medien, die die Wahl zu ihrer letzten Chance auf politischen Einfluss hochgepusht hatten. »Wenn man immer wieder liest, dass man verloren hat und all die haarsträubenden Interpretationen dazu, empfindet man schon eine gewisse Scham.«
    Ob man denn wenigstens Routine entwickelt im Verarbeiten von Niederlagen? Sie sagt nein, jede sei anders. Und jede hat ihre eigenen Begleiterscheinungen. Menschen zum Beispiel, die unterschiedliche Gesichter zeigen, in Zeiten des Erfolges und des Misserfolges. Vielleicht sinke die Bereitschaft, darüber hinwegzugehen mit zunehmender Empfindlichkeit. »Es gab Leute, die haben sich im Verlauf auf eine Weise gewandelt, da dachte ich: Mit dem wäre ich jetzt gern in einer Boxhalle und würde ihm eine zentrieren.« Die Entschiedenheit, mit der sie diesen Satz ausspricht, legt nahe, dass sie konkrete Gesichter vor Augen hat. Und auch, dass es eine ungemütliche Begegnung werden könnte.
    Sie ist dann doch lieber ganz friedlich mit Freunden essen gegangen an diesem Abend. Seit langer Zeit mal wieder ein privater Moment, ehe sie einmal mehr in den Bundesvorstand musste. Wieder so ein Gang, ein leidiger Gefühlsverstärker: »Ich hatte keine Lust mehr, bedauert zu werden.«
    Glaubt sie, dass diese Erfahrungen sie nachhaltig verändert haben, falls es eine Rückkehr geben sollte in die Politik? So leicht lässt sie sich nicht locken. Sie ist immer richtig gewesen, dort wo sie gerade war, ohne Gedanken an den nächsten Schritt. Und jetzt ist sie erst mal draußen richtig. Voller

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