Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
»Mappus-Getreue« wurde sie oft in Sippenhaft genommen. An ihrer Loyalität hat das nicht gerüttelt, auch wenn sie sich als Vertraute und Getreue in eine Schublade gesteckt fühlt, die ihr nicht angemessen erscheint. Zum einen, weil sie oft genug intern ihre Meinung gesagt hat. Vor allem aber, weil es eine von diesen einfältigen weiblichen Zuordnungen ist: »Männer sind nicht in erster Linie Vertraute von irgendwem.«
Und wie ist es tatsächlich mit den Unterschieden, üben Frauen anders Macht aus als Männer, wie viel Weiblichkeit verträgt der Führungsstil mächtiger Frauen? Mit Macht kann sie erst mal nichts anfangen, antwortet sie wenig überraschend im Ton aller Machtvollen. Macht ausüben bedeutet zu sagen, wo es langgeht, das sei ihre Sache nicht. Sie will Menschen überzeugen. »Mitnehmen« heißt das im heutigen Politikerjargon. Sie gehöre zu den Volksvertretern, die Probleme lösen wollen, nicht zu denen, deren Antrieb es sei, sich ein Denkmal zu setzen. Dass es von ersteren mehr gibt als von den anderen, davon ist sie überzeugt. Auch wenn die zweite Kategorie das Bild bestimmt. Schade sei es schon zu sehen, wie es manchen gelingt, ein Image zu gestalten, das weit entfernt ist vom eigentlichen Leistungsvermögen. Die Erfahrungen mit ihren drei Ministerpräsidenten haben ihr Anschauungsunterricht für jede Variante der Machtinterpretation geboten. »Jeder will gestalten, manche tun es auch«, sagt sie sybillinisch und verweigert freundlich lächelnd die Details.
In der Wahlnacht war ihr nach und nach schwindender Chef zu einem verschwundenen geworden, und so blieb ihr die wenig verheißungsvolle Bühne überlassen. Als sich die Fernsehkameras endlich den Siegern zuwandten, fuhr sie in ihren Wahlkreis, um die wackeren Stimmensammler mit Bier, Pizza und warmen Worten zu trösten. »Eigentlich war ich selbst trostbedürftig, aber ich musste weiter funktionieren.« Die Stimmung sei dann aber irgendwann beinahe fröhlich gewesen.
Am nächsten Morgen reiste sie nach Berlin, Wahlniederlagen brauchen Erklärungen. So versuchte sie im Bundesvorstand, im Landesvorstand, im Bezirksvorstand das Offensichtliche zu erläutern. Und parallel die Frage nach der nächsten Kandidatur zu beantworten, dem Griff nach dem Fraktionsvorsitz in ihrem Bundesland. Am nächsten Abend stand die Wahl an, sie wollte verschieben, um die Parteiseele zu beruhigen und selbst mit klarem Kopf ins nächste »Gefecht« zu gehen. Aber der Amtsinhaber sah seine Wahlchancen sinken und paukte den Termin durch. Wie sie sich in diesen eineinhalb Tagen mobilisiert hat, weiß sie nicht mehr: »Ich habe nichts gefühlt. Gar nichts.«
Sie bestellt jetzt einen Rotwein, um die aufkommenden Erinnerungen noch ein paar Minuten zu verschieben. Bei der Auswahl kommt die Umweltministerin in ihr zum Vorschein. Neue Weinländer, da kenne sie sich nicht aus, sie bevorzugt den Regionalen. Nicht nur aus Lokalpatriotismus, auch aus ökologischen Gründen.
Dass sie ihrer Heimat eng verbunden ist, hört man zuerst an ihrem unverstellten Schwäbeln, das in der Hochzeit von Stuttgart 21 den ein oder anderen lokalen Comedian zu Witzchen inspirierte. Ihre Familie und ihr kleines Haus mit dem Freisitz am Bachlauf sind ihr ein belastbarer Rückzugsort. Auch wenn sie sich damals oft gesorgt hat, vor allem um ihre Eltern, die so sehr mitgefühlt haben. Aber jetzt sind sie nur noch stolz auf die Karriere der Tochter, so wie sie selbst auch. Obwohl es inzwischen wieder weniger Leute sind, die selbstverständlich Tanja zu ihr sagen und erzählen, »dass sie mich schon als Baby auf dem Arm gehalten haben«. Und andere als erwartet. Aber da hat sie sich sowieso nie etwas vorgemacht. »Wenn mich jemand gefragt hat, warum ich meine Koffer selbst trage, habe ich immer gesagt, weil ich mich schon darauf vorbereiten will, dass ich es irgendwann wieder tun muss.«
Dass sie es lieber wollen wollte als tun zu müssen, sagt sie ganz offen. Das Scheitern bei ihrer Bewerbung um den Fraktionsvorsitz hat sie schwer getroffen, auch wenn es nicht überraschend war. Doch die Deutlichkeit des Abstimmungsergebnisses war als Botschaft an die Musterschülerin nicht zu übersehen. Da hatte der ein oder andere seinen Merkzettel wieder herausgeholt und ihr einen Denkzettel verpasst.
Auf ihrer Facebook-Seite kann man dazu keine Ausführungen finden, Niederlagen finden wenige Follower. Sie hat aufgehört, mit totaler Transparenz um Zuneigung zu werben, so wie es im Wahlkampf notwendig war. Gerade
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