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Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Titel: Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Kraus
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für einige Sekunden, der Gefühlsausdruck gelte ihr: »Aber dann habe ich gemerkt, dass sie mich gar nicht erkannt hat.«
    Für ihre Abschiedspredigt hat sie, nachdem die Hauptkirche verwehrt bleibt, eine kleine Kirche, sie sagt ihre liebste, im Hamburger Szenestadtteil St. Georg ausgewählt. Einen Ort, der womöglich besser zur eigenwilligen Interpretation ihrer Rolle passt. Inmitten einer pulsierenden Gemeinde, die alle Menschen, auch Außenseiter, willkommen heißt. Der Gottesdienst platzte aus allen Nähten, die Reihe der Laudatoren war illuster, die Lobreden würdevoll. Für die Prozession der opulenten Verabschiedungsgemeinschaft von der Kirche zur anschließenden Feier in die Hamburger Kunsthalle wurde die Straße gesperrt. Diesen Geleitschutz hat sie gerne angenommen.

    Der emotionale Geleitschutz von Ron Sommer waren Hunderte demonstrierende Telekom-Angestellte. Noch am Morgen seines Showdowns ist er unschlüssig aufgewacht. Hin- und hergerissen zwischen den untrüglichen Zeichen der Lossagung von Teilen des Aufsichtsgremiums, das an diesem Tag über seine Zukunft entscheiden sollte, und der bewegenden Solidarität seiner Mitarbeiter. Und von den unterschiedlichen Temperamenten in seinem familiären Kriegsrat. Sein Aufsichtsratsvorsitzender legte ihm den Rückzug nahe, zu unsicher sei eine neue Mehrheit. Die Politik, sein ursprünglicher Auftraggeber, wandte sich synchron zum fallenden Aktienkurs von ihm ab. Auch diejenigen, die verzückt das gemeinsame Fotomotiv gesucht hatten, am Tag der gefeierten T-Aktien-Zuteilung. Er lächelt sacht, wenn er an die machtpolitischen Purzelbäume dieser Tage denkt. Nun war die T-Aktie keine Erfolgsstory mehr und drei Millionen verprellte Anleger ein erhebliches Wählerpotential.
    Nach monatelangen Streitereien um Fehlentwicklungen und Verantwortlichkeiten, Spekulationen um Nachfolgekandidaten und motivationszersetzenden Gerüchten brauchte es endlich die Klärung der Schuldfrage, den medienwirksamen Kotau.
    Ron Sommer war noch nicht bereit. Er hatte einen genauen Plan im Kopf für die geordnete Übergabe »seines Babys«. Drei Jahre wollte er noch weitermachen, unterdessen seinen Nachfolger vorbereiten und diesem dann, als Aufsichtsratsvorsitzender, bei allen Wachstumsschmerzen unterstützend zur Seite stehen. Beim Gedanken an die unvollendete Aufgabe seines Bauplans und die Umstände, die dazu führten, verliert der Mann, dem man eine unvergleichliche Gabe der Domestizierung seiner Gefühle und Gesichtsregungen nachsagt, für Sekunden die bemerkenswerte Lässigkeit und bäumt sich kämpferisch in seinem Gartenstuhl auf. Er glaubt noch immer, dass er es hätte drehen können, vielleicht war sogar noch eine Mehrheit drin, im zerstrittenen Aufsichtsrat. Die Leute demonstrierend auf der Straße zu sehen, das sei unglaublich gewesen, erzählt er aufgewühlt von der Dialektik dieser Tage. Seine Leute reagierten mit wütenden Transparenten auf die Rücktrittsgerüchte, der Börsenkurs mit Freudensprüngen. »Meine Gegner wollten Krieg und meine Mitarbeiter haben erwartet, dass ich ihn führe.« Die Vorwürfe, er habe die Gewerkschaften und seine Belegschaft mit sanierungseinschränkenden Zugeständnissen in seinem Sinne gefügig und gegenüber seinen Gegnern aufsässig gemacht, kennt er natürlich. Und hält sie für einen obstrusen Bestandteil einer »lausigen Diffamierungsstrategie«.
    Die Entscheidung hat ihn geplagt, er wollte das Richtige tun, für die Familie, für das Unternehmen, für sich. Und sich nicht aus den falschen Gründen vom Hof jagen lassen. Er sagt nicht mehr, wie in früheren Interviews, dass er sich als Opfer des schröderschen Wahlkampfes sieht. Weil Gerhard Schröder »eigentlich immer ganz fair« mit ihm umgegangen ist seither und weil er sich ohnehin nicht als Opfer sehen mag. Aber er weiß genau, wo seine Gegner waren.
    Er hat noch mal seine Söhne angerufen, so, wie es in ihrer eingeschworenen Familienbande üblich ist. »Der eine sagte: ›Hau in den Sack und lass uns nach Amerika gehen‹, der andere wollte, dass ich kämpfe und gewinne.« Die Meinung seiner Frau kannte er schon seit Wochen. Den Entschluss zum Hinwerfen hat er dann allein gefasst, ohne weitere Rücksprache mit Beratern oder Kollegen.

    Dem Moment der Entscheidung geht zumeist ein zäher Prozess voraus, währenddessen alle Argumente bewegt und gewogen, alle Handlungsszenarien durchgespielt und viele, oftmals zu viele Ratgeber zu Wort gekommen sind. Die unumstößliche Erkenntnis

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