Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Macht Musik schlau?

Macht Musik schlau?

Titel: Macht Musik schlau? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz Jäncke
Vom Netzwerk:
Dirigenten Hirnreaktionen zu messen waren, die belegen, dass sie ihre Aufmerksamkeit sehr effizient nach rechts verlagern können, wozu selbst Pianisten geschweige denn Nichtmusiker überhaupt nicht in der Lage sind. Die Befunde sind recht kompliziert, so dass ich mir erlaube, die Ergebnisse etwas plastischer zu beschreiben.
    Die oben angedeuteten Hirnreaktionen sind Potenzialschwankungen der Hirnaktivität, welche zirka 60 Millisekunden nach der Präsentation des Reizes auftreten. Diese Potenziale werden allgemein als Negativierungen oder abgekürzt als N1-Komponenten bezeichnet. Wir wissen, dass Nervenzellen, die für diese Komponente verantwortlich sind, beidseitig im Hörkortex liegen. Die N1-Komponenten sind für aufmerksam beachtete Reize typischerweise größer als für nicht aufmerksam beachtete Reize. Diesen Aufmerksamkeitsunterschied kann man sehr gut messen, indem man die beiden N1-Komponenten (also die aufmerksam und nicht aufmerksam beachteten Reize) voneinander abzieht. Dieses Differenzpotenzial nennt man auch Nd-Potenzial. Je größer die Differenz (je größer also die Nd-Amplitude), desto stärker «feuern» die Neurone im Hörkortex aufgrund unterschiedlicher Aufmerksamkeitsanforderungen.Anders ausgedrückt, bedeutet dies, dass bei aufmerksamer Beachtung von akustischen Reizen die Neurone im Hörkortex stärker feuern.
    Kehren wir nun zum Versuch zurück. Stellen Sie sich nun vor, dass die zu beachtenden Töne nicht aus dem Lautsprecher schallen, der genau vor Ihnen platziert ist, sondern aus einem Lautsprecher, der leicht nach rechts platziert ist. Vergessen Sie nicht, dass Sie immer noch Ihre Aufmerksamkeit auf den Lautsprecher gelenkt haben, der unmittelbar vor Ihnen platziert ist. Sie werden natürlich auch die Reize aus dem rechts platzierten Lautsprecher gut erkennen. Allerdings wird die Nd-Komponente etwas geringer sein. Die Amplitude dieser Komponente wird noch etwas kleiner werden, wenn der Lautsprecher, aus dem die akustischen Reize präsentiert werden, noch weiter rechts platziert ist. Das bedeutet, dass bei Konzentration auf den geradeaus vor Ihnen angebrachten Lautsprecher die Nd-Amplitude am stärksten ist, wenn der Reiz auch tatsächlich aus diesem Lautsprecher kommt. Die Amplitude dieser Komponente wird immer kleiner, je weiter die Schallquelle vom erwarteten Ort entfernt ist. Dies zeigt, wie gut sich unser Gehirn mittels der Aufmerksamkeit räumlich auf die erwartete Schallquelle einstellen kann. Dies können Dirigenten, Pianisten und Nichtmusiker etwa gleich gut. Dirigenten sind diesbezüglich leicht im Vorteil. Viel dramatischer sind allerdings die Unterschiede, wenn wir uns die Hirnaktivitätsunterschiede auf akustische Reize anschauen, die im rechten Winkel von rechts auf das Ohr gelangen. Dies ist ja eine typische Situation, der Dirigenten während des Dirigierens ausgesetzt sind. Sie schauen nach vorne konzentrieren ihr Gehör allerdings nach rechts oder links. Nur bei Dirigenten (nicht bei Pianisten und erst recht nicht bei Nichtmusikern) wird man eine ähnliche Abstufung der räumlichen Aufmerksamkeit finden. Das bedeutet, der Nd-Effekt wird maximal auf akustische Reize sein, die aus der ganz rechts platzierten Schallquelle kommen, und immer kleiner werden, je weiter sich die Schallquelle von der beachteten Position entfernt. Der Hörkortex ist also präzise auf eine bestimmte Position eingestellt.
    Was bedeutet das nun? Dirigenten können offenbar ihren Hörkortex derart «scharf» auf eine bestimmte Schallquelle im Raum justieren, dass Reize, die genau aus dieser Position kommen, bevorzugt im Hörkortex verarbeitet werden. Akustische Reize, welche von solchen Schallquellen kommen, die unmittelbar neben dem Aufmerksamkeitsfokus liegen, werden etwas weniger gut verarbeitet. Diese Feineinstellung des Hörkortexgelingt den Dirigenten im Gegensatz zu den Pianisten auch für räumliche Positionen, die ungewöhnlich weit rechts oder links angebracht sind. Dies bedeutet, sie können sich quasi auf einen Hörraum von 180 ° um sich herum bestens einstellen und akustische Reize aus diesem Hörraum bevorzugt verarbeiten. Interessant ist, dass selbst professionelle Pianisten hierzu nicht in der Lage sind. Offenbar haben die Dirigenten durch jahrelanges Training sich diese Fähigkeit antrainiert. Im Übrigen finden wir einen ähnlichen Befund bei Blinden, die auch einen

Weitere Kostenlose Bücher