Macht Musik schlau?
drehen und versuchen, diese gedrehte Figur mit der Standardfigur zur Deckung zu bringen. Eine Reihe von Untersuchungen hat die am mentalen Rotieren beteiligten Hirnstrukturen genau charakterisiert. Kerngebiete sind der obere Teil des Scheitellappens, aber auch Gebiete im Stirnhirn. Neben diesen visuell-räumlichen Tests mussten die Versuchspersonen auch noch einen Tonunterscheidungstest bearbeiten. Der ist zwar für amusische Menschen schwer, aber er ermöglicht eine differenziertere Analyse der Amusie.
Die Amusiker waren im mentalen Rotieren von dreidimensionalen Objekten erheblich schlechter als Musiker und Nichtmusiker. Die Leistungim mentalen Rotationstest korrelierte mit der Leistung im Tondiskriminationstest. Die Amusiker, die besonders schlecht Töne unterscheiden konnten, waren auch beim mentalen Rotieren besonders schlecht. Der SMARC-Effekt war bei den Amusikern erheblich geringer. In einem weiteren Versuch mussten alle Versuchspersonen dargebotene Töne unterscheiden, während sie gleichzeitig die mentale Rotationsaufgabe zu lösen hatten. Alle Versuchspersonen waren in der Tonhöhendiskriminationsaufgabe erheblich langsamer, wenn gleichzeitig mental rotiert wurde. Die Musikern wiesen allerdings die stärkste Beeinträchtigung auf und die Amusiker die geringste. Was bedeuten nun diese Befunde? Offenbar verfügen die Amusiker nicht über eine starke Kopplung zwischen Tönen und visuell-räumlichen Fertigkeiten. Wahrscheinlich können sie die Töne nicht in einen mentalen «Tonraum» einsortieren und infolgedessen nicht mehr unterscheiden.
4.3.5
Hören im Raum
Dirigenten sollen bemerkenswerte Menschen sein. Das sagen mir zumindest meine Kollegen und Musikerfreunde, die sehr viel mit ihnen zu tun haben. Auch meine persönlichen Erfahrungen, die ich im Umgang mit Dirigenten machen durfte, bestätigen diesen Eindruck. Bislang habe ich ausschlieÃlich sehr begabte und sehr beeindruckende Dirigenten kennengelernt, die mehrere Sprachen sprechen und über Charisma verfügen. Aber dazu vielleicht an anderer Stelle mehr. Ich möchte eher auf etwas anderes zu sprechen kommen. Dirigenten müssten eigentlich über eine auÃergewöhnliche räumliche Aufmerksamkeits- bzw. auditorische Wahrnehmungsfähigkeit verfügen. Während ein Orchestermusiker sich mehr auf sein eigenes Instrument zu konzentrieren hat und eventuell die Instrumente seiner Nachbarkollegen aufmerksam beachten muss, ist ist dies bei Dirigenten völlig anders. Wenn sie vor dem Orchester stehen, müssen sie praktisch in einem Halbkreis, also einem Winkel von 180 °, um sich herum selbst kleinste Klangveränderungen erkennen, auch wenn sie nach vorne schauen und sich vorrangig nach vorne zu orientieren scheinen. Mein Kollege Thomas Münte aus Magdeburg hat sich mit seiner Arbeitsgruppe diesem Thema gewidmet (Münte, Kohlmetz, Nager und Altenmüller, 2001; Münte, Nager, Beiss, Schroeder und Altenmüller, 2003; Nager, Kohlmetz, Altenmüller, Rodriguez-Fornellsund Münte, 2003). Hierzu haben meine Kollegen eine interessante Versuchsapparatur gebaut, indem sie sechs Lautsprecher in einem Halbkreis vor den Versuchspersonen (professionelle Dirigenten, Instrumentalmusiker und Nichtmusiker) angebracht haben. Drei Lautsprecher waren nebeneinanderliegend geradeaus vor den Versuchspersonen aufgestellt. Ãber diese Lautsprecher wurden den Versuchspersonen zwei kurze Geräuschsequenzen präsentiert. Eine Geräuschsequenz kam häufiger als die andere. Die Aufgabe bestand darin, dass die Versuchspersonen beim Hören der seltenen Geräuschsequenz sofort eine Taste niederdrücken mussten. In einer Versuchsbedingung sollten die Versuchspersonen sich stärker auf den Lautsprecher vor ihnen und in der anderen auf den Lautsprecher neben ihnen konzentrieren. Es zeigte sich, dass die Dirigenten sich auch sehr gut auf die Lautsprecher konzentrieren konnten, die 90° rechts von ihnen platziert waren. Das bedeutet, dass sie auch sehr gut die Zielreize (bestimmte Geräuschsequenzen), die aus diesem Lautsprecher kamen, erkennen konnten. Neben diesem Verhaltensvorteil haben die Kollegen auch unterschiedliche Hirnreaktionen bei Dirigenten feststellen können.
Während des Lösens der oben beschriebenen Aufgabe wurden mittels EEG evozierte Potenziale von der Schädeloberfläche abgeleitet und typische Hirnantworten herausgearbeitet. Interessant war, dass bei den
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