Macht: Thriller (German Edition)
sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn und entfaltete ein Blatt Papier. Er blickte sich nach allen Seiten um und versuchte, im flackernden Lichtschein seines Feuerzeugs den Plan einzunorden. Endlich erhellten sich seine Züge, und ein zufriedenes Lächeln offenbarte seine weißen Zähne.
Auf die anderen wirkte er in diesem Moment wie ein hungriges Raubtier, das Witterung aufgenommen hatte. Sie traten von einem Fuß auf den anderen, kratzten sich am Hinterkopf und wechselten fragende Blicke. Aber keiner der drei wagte, auch nur ein Wort zu sagen.
Der Anführer mit dem Plan hob den Arm, deutete mit dem Zeigefinger in alle vier Himmelsrichtungen und erklärte mit ernster Miene: »Voßstraße und Leipziger Platz, Wilhelmstraße, Ministergärten und Hermann-Göring-Straße. Wir stehen genau vor dem Gartenportal zu seinem Arbeitszimmer.« Er zog die Mundwinkel nach unten und schnaufte gereizt. »Das bedeutet, dass wir zu weit östlich sind.« Er faltete das Blatt zusammen und wollte los.
Ewald packte seinen Unterarm und hielt ihn zurück. Das Gesicht des Jungen war kreidebleich, seine schmalen Schultern zitterten, und auf seiner Stirn perlten dicke Schweißtropfen. »Hermann-Göring-Straße? Das ist die Ebertstraße.«, presste er hervor. »Was soll die Nazi-Scheiße? Zu weit östlich wofür? Sascha, was machen wir hier?«
Aber Sascha rührte keine Miene. Er blieb stehen und blickte erst verächtlich auf die Hand an seiner Schulter, dann auf den Kleinen hinunter. Nach einem kurzen Augenblick des Schweigens wischte er die Hand fort, wie einen Staubfleck.
Ewald erstarrte. Unter dem Blick Saschas bekam er eine Gänsehaut. Das warnende Gefühl in der Magengegend schoss empor und drückte ihm die Kehle zu. Er verschränkte die Arme vor der Brust, und ihm wurde schlagartig kalt. Mit großen Augen starrte er den Burschen neben sich an. Seinen Cousin Jens.
Sascha stemmte die Fäuste in die Hüften, seufzte pathetisch und stierte in die Dunkelheit hinaus. Dann wandte er sich an Jens: »Ich habe dir gleich gesagt, du sollst das Baby zu Hause lassen. Jetzt gefährdet er mit seinen Fisimatenten die ganze Aktion.«
»Ich werde nächstes Monat siebzehn!«, blaffte Ewald, japste nach Luft und machte einen Schritt nach vorne. »Ich bin FDJler!«
Jens warf seinem um zwei Jahre jüngeren Vetter einen strengen Blick zu und schüttelte den Kopf. »Nee, Sascha, der Ewald ist kein Baby. Er will nur wissen, was wir hier machen. Du weißt, ich habe ihn mitgenommen, damit er einmal etwas anderes erlebt als zu strebern. Er hat mir ständig in den Ohren gelegen, wie gerne er einmal mit uns abends mitgehen möchte. In der Kneipe ein paar Pils kippen, Mädels treffen und so …« Er wurde immer leiser und brach schließlich mitten im Satz ab. Seine Worte schienen gänzlich unbemerkt zu bleiben.
Sascha nickte schweigend, ohne die beiden Jüngeren anzusehen. Dann schloss er die Augen und ließ den Kopf hängen. Nach ein paar endlos scheinenden Sekunden, in denen nur das Atmen der Burschen und die Geräusche der Nacht zu hören waren, richtete er sich wieder auf und legte Ewald seinen muskulösen Arm auf die Schultern. »Ewald, du erinnerst dich doch sicher an den BZ-Artikel über drei Jugendliche, die Ende März in die Bunkeranlage der Neuen Reichskanzlei eingestiegen sind?«, flüsterte er. »Drei Freunde seilten sich nachts in den Führer-Bunker ab, lautete die dämliche Schlagzeile. Die Knallköppe von der BZ wissen nämlich nicht, dass der Führerbunker längst von der DDR demoliert worden ist.« Er deutete mit dem Kopf in Richtung Nordosten. »Der Führerbunker war dort drüben, unter den Plattenbauten an der Wilhelmstraße.«
»Ja«, bemühte Ewald sich, möglichst rasch zuzustimmen. Er fürchtete, unter dem Gewicht der Muskeln in die Knie zu gehen. »Unheimliches Abenteuer zwischen Potsdamer Platz und Brandenburger Tor …«, zitierte er hastig. Kaum war er jedoch mit dem Untertitel fertig, verschlug es ihm die Sprache. Das war genau hier, wo sie jetzt gerade standen. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht, unter seinen Füßen lag der Schutt der Neuen Reichskanzlei, und keinen Steinwurf entfernt hatte Adolf Hitlers Schreibtisch gestanden. Ein metallischer Geschmack machte sich in seinem Mund breit. Ewald kämpfte gegen den Drang, sich zu übergeben. »Und diese drei Freunde seid ihr gewesen?«, stieß er krächzend hervor und guckte in die Runde.
Sascha lachte leise in sich hinein und zwinkerte seinen beiden
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