Machtrausch
ausführlich von ihrem gestrigen Besuch auf dem Ökohof. Es war beiden nicht klar, ob die Kranke überhaupt etwas von der Unterhaltung mitbekam. Glocks Gedanken waren immer wieder in andere Richtungen abgedriftet, dies war jedoch selbst Barbara nicht aufgefallen. Was ihn an dem Krankenhausbesuch erschütterte, war nicht der Zustand von Babette, sondern dessen Ursache. Der Gedanke, dass Schutzgelderpresser in München existierten und mit solchen Methoden unbehelligt arbeiten konnten, war an sich schon erschreckend genug. Seit seinem Polizeibesuch heute wusste er jedoch, dass er sich getäuscht hatte. Inspektor Veith, der zuständige Beamte, ein grundsolider älterer Bayer, hatte sich die Geschichte der versuchten Schutzgelderpressung von Barbaras Laden ruhig angehört. Der Beamte rügte Glock in mildem Ton für die seinerzeit unterlassene Anzeige und fügte dann hinzu:
»Gott sei Dank gibt es auch noch Bürger in dieser Stadt, die der Polizei die Arbeit etwas erleichtern! Wir haben bereits vor einem Vierteljahr mehrere diskrete Anzeigen von Kneipen- und Ladenbesitzern erhalten, die von demselben Duo erpresst worden sind. Durch die gute Kooperation mit einem türkischen Supermarktbesitzer haben wir die Brüder vor zehn Tagen in flagranti erwischt und bereits hopsgehen lassen. Was sagen Sie nun? Ihre versuchte Erpressung hat ja erst vor einem Monat stattgefunden, oder ?« Glock kratzte sich am Kinn und wurde sich der Bedeutung dieser Mitteilung bewusst. Er nickte. Veith zog den einzig möglichen
Schluss:
»Mit dem Angriff auf den Laden Ihrer Frau hatten die Schutzgelderpresser nichts zu tun…« Eine Schutzgeld-erpressung war schon nicht gerade beruhigend, wirklich beunruhigend war jedoch die Erkenntnis, dass es nun gar keine Erklärung für diesen Angriff mehr gab. Es sei denn, Babette würde später durch ihre Aussage etwas Licht in das Dunkel bringen können. Er musste dringend in Ruhe darüber nachdenken. Der Inspektor wollte natürlich wissen, ob Glock sich ein Motiv für die Tat vorstellen könne, schließlich konnte es sich dennoch um einen gegen Barbaras Geschäft oder gar Babette selbst gerichteten Akt handeln. Ein Überfall aus Habgier konnte ausgeschlossen werden, da nichts im Laden fehlte und der abgeschnittene Finger so gar nicht ins Bild passte. Bei Babette, dieser reizenden, naiven Mutter, die schon seit vielen Jahren mit Barbara befreundet war, konnte er sich beim besten Willen keine Gründe für eine derartige Brutalität vorstellen. Bei Barbara kamen einem da schon eher Ideen. Sie war bekannt als hartnäckige Gegnerin der heute von den Führungseliten weltweit angebeteten Gottheiten wie ›Shareholder-Value‹, Globalisierung, ›Economies of Scale‹, ›Offshoring‹ und all den anderen technokratischen ›Buzzwords‹. Sie hatte sich sogar eine Zeitlang bei ATTAC engagiert und mehrmals in lokalen Radio- und Fernsehsendern an Diskussionen teilgenommen, in denen sie mit ihrer vernichtenden Rhetorik alte Feindschaften erneuert und neue geschaffen hatte. Darüber hinaus nahm sie regen Anteil an der öffentlichen Debatte über Themen wie Massenviehhaltung, Genversuche und Nahrungsmittelzusätze, schrieb dazu kritische Leserbriefe (in denen sie auch vor Beleidigungen nicht zurückschreckte) und stellte sich allen anders lautenden Meinungen an Infoständen vor Einkaufszentren und in der Innenstadt. War sie jemandem zu heftig auf den Schlips getreten? Hatte sie einen wunden Punkt getroffen? Bei diesem Gedanken war Glock, der immer noch auf dem Plastikstuhl vor dem mit Zigarettenlöchern übersäten Schreibtisch des Inspektors saß, ein Schauer über den Rücken gelaufen. Inspektor Veith schien ein Mann zu sein, der keine Antworten, sondern nur Fragen zu bieten hatte.
Es fing zu tröpfeln an, und Glock spannte den knallorangenen Regenschirm auf, während er an den kleinen Cafés in der Pariserstraße vorbeischritt. Im Café ›Mon Dieu‹ hatte man noch vor ein paar Jahren einen guten Teller Nudeln für wenig Geld essen können. Jetzt war alles teurer, was ihn nicht wirklich abgeschreckt hätte, aber die Nudeln waren nun stets vorgekocht und die Soße war fad geworden. Trotzdem war das Café immer voll, wenn er durch die Scheiben sah. Seine Gedanken schnellten zum Anfang des Tages zurück, als er mit sehr gemischten Gefühlen – die optimistischen hatten (wie meistens bei ihm) überwogen – aus der U-Bahn gestiegen und zusammen mit den anderen Massen von Angestellten auf das
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