Machtrausch
gar nicht an die Öffentlichkeit dringen.« Anton Glock schlürfte ratlos seinen Kaffee und versuchte, einen intelligenten Gesichtsausdruck zu produzieren. Was hatte das alles mit ihm zu tun? Wollte ihm Nagelschneider jetzt die Firmengeschichte erzählen?
»Denken Sie nur an enttäuschte Mitarbeiter, Glock, die sich an der Firma rächen wollen, weil sie bei der Beförderung übergangen worden sind. Oder entlassene Angestellte, die brisante Geschäftsinformationen mitgehen lassen und verwerten wollen. Meinen Sie im Ernst, es wäre gelungen, ein vollkommen ahnungs- und wehrloses Unternehmen durch diese Stromschnellen zu steuern, ohne je ernsthaft Schaden zu nehmen?! Ein profitables Unternehmen dieser Größenordnung weckt viele Begehrlichkeiten! Bereits im Jahre Zehn des Bestehens unserer Firma hat die damalige Geschäftsleitung das Aufdämmern unruhiger Zeiten geahnt und sich etwas einfallen lassen .« Pause. Nagelschneider richtete seinen Blick auf die gegenüberliegende Wand, wo ein Ölportrait des Firmengründers Eduard Schuegraf hing. Gepflegter Vollbart, Monokel, dunkle Fliege, die blau oder auch schwarz gewesen sein mochte. Also stimmte es doch, dachte Glock. Jetzt ahnte er, was kommen würde. Immer wieder gab es in der Zentrale Gerüchte über verdeckte Operationen irgendwelcher ominöser, konzerneigener Sicherheitsabteilungen. Es wurde gemunkelt, diese Abteilung würde auf Angestellte losgelassen, die man nicht mehr länger beschäftigen wollte. Wenn man gründlich genug suchte, konnte man mit Sicherheit bei jedem Angestellten Versäumnisse und kleinere Ungenauigkeiten entdecken, die man dann für ein gezieltes Abservieren verwenden konnte. Auch wurde immer wieder berichtet, der private Mailverkehr einzelner Angestellter würde überwacht werden, um die Loyalität gegenüber dem eigenen Unternehmen zu testen. Als Glock in die Abteilung kam, hatte es gerade eine ausführliche Mitarbeiterbefragung gegeben, bei denen man Fragen wie »Wie sehr identifizieren Sie sich mit den Unternehmenszielen?« oder »In welchem Maße unterstützt Sie Ihr Vorgesetzter bei Ihren täglichen Aufgaben?« anonym beantworten sollte. Daxberger, ein älterer Kollege in der Abteilung, hatte ihm seinerzeit lang und breit erläutert, warum man bloß nicht den Fehler machen solle, an dieser Umfrage teilzunehmen, da seines Erachtens jeder ausgefüllte Fragebogen allein den Zweck erfüllte, die Einstellung des Mitarbeiters zur Firma und seinem Vorgesetzten zu überprüfen. Er hatte Glock zugeflüstert: »Die haben eine Abteilung, die über Mittel und Wege verfügt, jeden anonym ausgefüllten Bogen dem Mitarbeiter zuzuordnen. Glauben Sie mir !« Glock hatte spöttisch gelacht und diese Gerüchte in das Reich der Phantasien kleiner Angestellter verwiesen, die sich damit ihre bedeutungslose Existenz aufpeppten. Die Vorstellungen ähnelten exakt den Verschwörungstheorien, die Barbara so gerne vertrat.
Nagelschneider sah den nachdenklichen Glock an und fügte hinzu: »Experten gehen davon aus, dass sich die Schäden durch Wirtschaftskriminalität jährlich auf etwa zehn Prozent des deutschen Bruttosozialproduktes belaufen. Eine unglaubliche Summe!«
»Ich dachte immer, bei uns in Deutschland sei das alles halbwegs unter Kontrolle …«
»Im Gegenteil. Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich die hiesige Wirtschaftskriminalität auf hohem Niveau und sogar über dem westeuropäischen Durchschnitt bewegt. Leider. Der Staat versagt in dieser Hinsicht auf breiter Front. Es gibt Personalengpässe auf der Ermittlungsseite und hat man einmal ein paar Schuldige erwischt, so muss man mit endlos langen Verfahren rechnen, da Staatsanwaltschaften und Wirtschaftsstrafkammern hoffnungslos überlastet sind. Unser Konzern hat es also mit vielen Fällen zu tun, in denen das Einschalten der Behörden entweder ohnehin nichts bringen würde oder von uns bewusst vermieden wird, um die Öffentlichkeit zu meiden .« Dem Finanzchef war anzumerken, dass ihn das Thema fesselte.
»Und was hat das mit der Strategieabteilung und mir zu schaffen ?«
»Viel. Sehr viel sogar. Sämtliche Aktivitäten zum Schutze unseres Unternehmens vor Feinden von außen und, leider, auch von innen werden seit über neunzig Jahren vom jeweiligen Chef der zentralen Strategieabteilung verantwortet. In Personalunion zu den normalen Strategieaufgaben. Also möglicherweise zukünftig von Ihnen! Was ich sagen will, ist folgendes: Ihre künftige Verantwortung geht damit weit über das hinaus,
Weitere Kostenlose Bücher