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Machtrausch

Machtrausch

Titel: Machtrausch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer C. Koppitz
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Dort sollten in den kommenden Monaten vierhundertfünfzig Arbeitsplätze wegfallen und er, Glock, sollte die Gründe dafür morgen dem örtlichen Betriebsrat erläutern, denn die Abteilung für Unternehmensstrategie, deren Leiter er jetzt war, hatte die der Entscheidung zugrunde liegenden Analysen geliefert. Üblicherweise war eine solche Runde mit dem Betriebsrat eine klare Vorstandssache, doch offensichtlich hatte dieser keine Lust, sich die Finger schmutzig zu machen und sich der direkten Konfrontation vor Ort zu stellen. Oder man wollte ihn, Glock, verheizen. Er hatte bei der Sache kein gutes Gefühl, aber er konnte in seiner neuen Position schlecht den ersten Auftrag des neuen Vorstandsvorsitzenden ablehnen, wenn er länger als vierundzwanzig Stunden auf seinem neuen Chefsessel sitzen und Licht in die jüngsten Vorfälle bringen wollte. Dazu brauchte er jetzt vor allem Zeit. Er bat Rauch telefonisch, gemeinsam mit dem bewährten Kollegen Blaubusch einen knackigen Foliensatz zusammenzustellen, in dem die Gründe für den Personalabbau sowie die zahlreichen großzügigen Maßnahmen des Konzerns zur Sicherstellung der Sozialverträglichkeit des Massenrausschmisses plausibel dargelegt wurden. Rauch sollte die Unterlagen dann nachher mit zu ihrer Verabredung im Gasthaus ›Zum Brünnstein‹ bringen. Über Frau Nockele ließ Glock den heutigen Termin mit dem Leiter der Internen Angelegenheiten, Fittkau, auf den übernächsten Tag, also Donnerstag, verschieben und kündigte an, bei ihm persönlich in dessen Büro vorbeizukommen. Er war schließlich lernfähig. Fittkau saß etwas außerhalb von München in Keferloh, also fernab des Schuegraf-Geländes. Glock kannte Keferloh, ein aus wenigen Häusern bestehendes Örtchen rund um ein altes Gut im Südosten Münchens, wegen seines urigen Biergartens und weil Barbara ein regelmäßiger Besucher des einmal im Monat stattfindenden Keferloher Floh- und Antikmarktes war, von dem sie zu seinem Leidwesen schon so manches Bild und etliche Kerzenleuchter mitgebracht hatte, die jetzt im Wohnzimmer verstaubten. Wo dort wohl die Abteilung für Interne Angelegenheiten sitzen mochte? Für den Rest des Nachmittags bat er, keine Anrufer mehr durchzustellen und auch keine weiteren Termine zu machen. Frau Nockele, die gute Seele der Kompanie, fragte ihn zu Recht, ob er denn keine Abteilungsversammlung für die Unternehmensstrategie anberaumen wolle, um sich als neuer Chef vorzustellen und einzuführen. Glock verschob das auf Montag nächster Woche. Wer wusste, was sich bis dahin noch alles ergab. Für den Dienstag nächster Woche, also in genau sieben Tagen, hatte Frau Nockele, wie von ihm gewünscht, einen Termin in Wien mit Kroupa verabredet, der ihn dort, er traute seinen Ohren nicht, persönlich vom Flughafen abholen würde und sich »sehr auf den Antrittsbesuch in Österreich« freute.
    Nach Regelung dieser organisatorischen Dinge schloss er die Tür zum Sekretariat und durchforstete systematisch die Unterlagen Röckls. Das tödliche Fenster riss er weit auf, ohne einen Blick nach unten zu wagen. Er zündete sich eine Zigarette an. Entgegen seinem Wunsch hatte ihm Frau Nockele zu ihrem Bedauern keine Unterlagen zu den laufenden Themen und Projekten zusammenstellen können, weil sie nicht an seine verschlossenen Schränke hatte gehen wollen. Pietät. Grundsätze. Das stehe nur ihm als Nachfolger zu, hatte sie gesagt und ihm die Schlüssel in die Hand gedrückt. Nur an zwei Stellen im Büro, wie Glock schnell registrierte, existierten überhaupt Akten: In einem hohen, eichenholzfurnierten Aktenschrank standen feinsäuberlich aufgereiht alte und neuere Leitz-Ordner mit sauberer Beschriftung. Die Rücken trugen Titel wie › Neuausrichtung Textilmaschinen ‹ oder ›Umsatzsteigerung Portugal‹. Alles alte, abgeschlossene Projekte der Zentralabteilung für Unternehmensstrategie. Er konnte keinen einzigen Ordner für das aktuelle Programm ›HQ Halbe‹ oder das geplante, hochpolitische Projekt zur › Steigerung der Vertriebseffizienz ‹ finden. Dann gab es noch einen halbhohen Schrank mit Hängeregistern. Dort hatte sein verstorbener Chef anscheinend alle Personalunterlagen der Mitarbeiter seiner Abteilung untergebracht. Er fand sofort die Mappe mit allen Papieren zu Rauch, dessen wirren Lebenslauf, seine Gehaltsdaten, eine Abmahnung aufgrund der Beleidigung eines früheren Vorgesetzten (von der Glock bisher nichts gewusst hatte) und seine Leistungsbeurteilungen. Die Unterlagen zu den

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