Machtrausch
sich mit überraschend grell hellorange lackierten Fingern durch die kurzen Haare und fuhr mit heiserer Stimme fort:
»Gut, also für Sie zum Mitnotieren: Der Chef der AfU trifft sich nie – und ich wiederhole NIE – mit seinen Untergebenen hier in seinem Büro im Hauptgebäude. Von hier aus wird ausschließlich die so genannte Unternehmensstrategie befehligt, o.k.!? Wenn Sie mir oder einem der anderen aus der AfU etwas mitteilen wollen, haben Sie zwei Möglichkeiten: Sie lassen einen Termin vereinbaren und kommen bei mir im Berliner Büro vorbei. Die Räume dort sind nämlich abhörsicher und außerhalb des eigentlichen Firmengeländes gelegen. Oder Sie kommunizieren über unsere offizielle Schnittstelle, Frau Kaltfeuer. Je weniger direkte Kontakte es zwischen uns gibt, desto besser! Unser Mann fürs Grobe, Schachter-Radig, war doch heute schon bei Ihnen. Hat er Ihnen das nicht deutlich gesagt ?« Hatte er nicht.
»Nein, hat er nicht. Er sieht das offenbar nicht ganz so eng. Jedenfalls danke für den lehrreichen Hinweis. Sie sehen, ich werde in den nächsten Wochen noch viel lernen müssen. Röckl hat mich leider nicht ganz so intensiv wie geplant einarbeiten können …«
»Schon gut, schon gut – dann erzählen Sie mir doch mal, was Sie über die Externen Angelegenheiten so wissen !« Die Dame hatte eine interessante Art, einen in die Defensive zu bringen. Aber Glock war es vom Schachbrett gewohnt, auch mit den schwarzen Steinen eine Gewinnstellung herauszuspielen. Es war nur etwas mühsamer. Die energiegeladene Frau Frühwein setzte sich auf den Stuhl vor seinem neuen (und Röckls altem) Schreibtisch und stützte beide Ellbogen auf das Eichenholz.
»Nun, ich weiß, dass Sie und die meisten Ihrer Leute in Berlin sitzen, offiziell dem Lobby-Büro des Konzerns angehören, und dort allen möglichen Hinweisen auf Bedrohungen von außen nachgehen. Und dass Sie über Ihre Erkenntnisse dann knappe Berichte verfassen und mir diese zur Entscheidung über das weitere Vorgehen zukommen lassen. Entscheide ich mich, das Thema intern regeln zu lassen, wird die Sache an Schachter-Radig weitergegeben, der sie mit seiner Aktiven Eingreiftruppe mit hoher Effektivität erledigt. Richtig, Frau Lehrerin?« Für dieses Referat meinte er eine eins verdient zu haben.
»Nur beinahe. Was Sie am besten sofort zur Kenntnis nehmen sollten ist, dass nicht für jede Aktion die besten Leute bei Schachter-Radig sitzen – auch wir haben ein paar Leute, die delikate Angelegenheiten zupackend zu erledigen wissen. Und, Glock, glauben Sie bloß nicht, Sie seien der alleinige Entscheider darüber, wie die erkannten Probleme dann gelöst werden: Auf Anweisung des Vorstandes geht zuerst jeder unserer Berichte in die elfte Etage. Und nur , wenn man dort keine Meinung dazu hat oder die Sache sowieso zweitrangig ist, landet sie auf Ihrem Schreibtisch .« Ihrer mühsam beherrschten Genugtuung entnahm er, dass sie die Neuheit dieser Nachricht für ihn erahnte.
»Aha, soll das heißen, die Memos zu den wirklich brisanten Fällen landen gar nicht auf meinem Tisch, sondern werden direkt vom Vorstand entschieden ?«
»Yes, Sir !« , kam es zackig zurück.
»Und wann hat das wer angeordnet ?«
»Nagelschneider, vor ein paar Monaten. Er ist übrigens auch jener Vorstand, an den die Berichte alle gehen .«
»Nur, um die Sache abzuschließen: Wenn ich Sie jetzt bitten würde, mir alle Memos zu den Fällen zu geben, die während der letzten Monate an Röckl vorbei direkt zu Nagelschneider gegangen sind, was würden Sie mir dann antworten?«
»Dass mir völlig schleierhaft ist, warum man gerade Sie zu Röckls Nachfolger gemacht hat«, kam es wie aus der Pistole geschossen.
Er ließ sich von seiner charmanten Mitarbeiterin ebenfalls die Mobilnummer geben und beendete die Besprechung. Eine Partie, in der man nach wenigen Zügen bereits die Dame einstellt, sollte man nicht weiterspielen, sondern sich sofort geschlagen geben. Und eine neue Partie am nächsten Tag wagen. Er musste dringend Nagelschneider sprechen, sobald sich sein Eindruck bestätigt haben würde. Der Leiter der Abteilung für Unternehmenssicherheit schien eine reine Pappfigur zu sein. Großes Auto, kleine Zuständigkeit.
Die gute Frau Nockele kam herein und teilte ihm mit, dass er morgen überraschend nach Hannover müsse. Anordnung des neuen Vorstandsvorsitzenden, Dr. von Weizenbeck. Schuegraf hatte ein Werk in Hannover, in dem Maschinen für die Getränkeindustrie produziert wurden.
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