Machtrausch
Wochenende seine Eltern aus Landshut zu Gast kommen und auch bei ihnen übernachten würden. Seine Vorfreude hielt sich in Grenzen. Aber er sagte nichts.
»Anton, meinst du nicht, du und Rauch, ihr könntet euer Bier hier bei uns daheim trinken? Ich störe euch auch bestimmt nicht. Ihr könnt das Wohnzimmer ganz für euch haben, versprochen !« Glock lehnte dankend ab und beendete das Gespräch. Er freute sich auf die Ablenkung eines Kneipenabends. Über zwei Steinstufen und einen winzigen Vorraum betrat er das altbackene Lokal und suchte sich einen Ecktisch, an den er sich mit Blick in Richtung Eingang setzte. Zwei Minuten später hatte er schon ein Helles auf dem Tisch. Weitere fünf Minuten später war das Bier zur Hälfte geleert, und er dachte darüber nach, wie er sich der vertraulichen Unterstützung seines Kollegen Rauch in den kommenden, schweren Zeiten versichern konnte. Der Umschlag in seiner Tasche würde jedenfalls ein Anfang sein.
Da kam der groß gewachsene, blonde Rauch mit dem schulterlangen Haar und dem üblich breiten Lächeln zur Tür hinein und steuerte auf Glocks Tisch zu.
»Hallo Boss – denn das bist du jetzt ja wohl !« , wurde er halb spöttisch begrüßt. »Bleiben wir per ›Du‹ ?« , setzte er hinzu. Sein neuer Chef lachte etwas unsicher, schüttelte Rauch die Hand und machte der Kellnerin unmissverständliche Zeichen, dass man noch zwei Bier benötigte.
»Alois, ich möchte ganz offen mit dir reden: Ich brauche deine Unterstützung, werde aber akzeptieren, wenn du ablehnst. Ich könnte das gut verstehen !«
»Klar, wenn es darum geht, dein neues Gehalt auf den Kopf zu hauen – ich bin dabei! Lass uns jetzt und heute damit anfangen !« Er lachte dreckig.
»Nein, das meine ich nicht. Lass uns bitte ernst miteinander reden, ich brauche wirklich deine Hilfe !« , bat er.
»Okay, okay, was ist denn so schrecklich an deiner neuen Lage, dass du die Hilfe eines Totalversagers und Leistungsverweigerers wie mir brauchst ?«
Glock nahm einen tiefen Schluck seines frischen Biers und gab sich einen Ruck. Wenn er ernsthaft Rat und Hilfe erwartete, dann musste er vollkommen offen sein. Gegenüber Nagelschneider hatte er sich schriftlich verpflichten müssen, das Thema AfU streng vertraulich zu behandeln. Das galt natürlich auch gegenüber Alois Rauch. Allerdings stand im Kleingedruckten auch nichts von vorgetäuschten Selbstmorden, abgehörten Büros und Erpresserbriefen. Mit den Regelbrüchen hatten andere angefangen. Auch er würde sich seine Regeln ab jetzt selbst schreiben. Also berichtete Glock seinem aufmerksam zuhörenden Kollegen von Babettes abgeschnittenem Finger, der sinnlosen Erpressung zur Annahme des neuen Jobs, den geheimen Eingreiftruppen, die zu seiner neuen Aufgabe gehörten, den verschwundenen Unterlagen seines Ex-Chefs sowie dessen fingiertem Selbstmord.
»Wieso bist du dir so sicher mit dem Mord an Röckl? Jeder wusste, dass Röckl nichts kannte und hatte im Leben als die Firma. Eine eintönige Ehe, Kinder, die nix von ihm wissen wollten, keinerlei Hobbys. Das ist gängige Meinung in der Firma. Irgendwie also plausibel, dass er, wenn sein Lebenswerk entwertet wird, keinen Bock mehr auf den ganzen Mist hast, oder!?«
»Nein, ist es eben nicht. Ich habe doch gesagt, dass ich mit Röckl vorher gesprochen habe. Er war verärgert, ja. Er hatte Angst, ja, und er wollte dringend unter vier Augen mit mir sprechen. Und er war sich sicher, abgehört zu werden! In seinem eigenen Büro mitten in München! Das war keine Selbstmordstimmung, glaub mir. Er erhoffte sich irgendwas aus dem Gespräch mit mir im Sushi Cent. Das war eiskalter Mord !«
»Okay, mal angenommen, du hast Recht. Dann kommt nur jemand aus der Firma in Frage. Und die Professionalität und Kaltblütigkeit bekommt nur jemand hin, der in solchen Fällen Routine hat …«
»Du meinst jemand aus seiner eigenen verdeckten Abteilung ?«
»Klar, wer sonst. Und mehrere müssen es auch gewesen sein, denn freiwillig wird er kaum auf das Fensterbrett geklettert sein, um Flugübungen zu machen. Hast du mit der Polizei geredet ?«
Glock berichtete auch noch von seinem anonymen Brief an die Polizei, der bisher, jedenfalls seines Wissens, ohne Reaktion geblieben war. Dann griff er in seine Sakkotasche und reichte Rauch die Kopie seiner Notiz an Nagelschneider zur geforderten Entlassung des Kollegen. Der las den kurzen Text und fragte:
»Ich verstehe das richtig: Nagelschneider verlangt von dir, mich rauszuschmeißen ?«
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