Machtrausch
erinnern, da ein Gutteil der Arbeit in der Strategieabteilung gelandet war.
»Dann kam mein Freund Beckendorf tragisch ums Leben, und die Nachbesetzung des Vorstandschefs erfolgte natürlich durch BTP. Die Schuegrafs hatten einen solchen Fall nicht vorhergesehen und mussten ohnmächtig zusehen, wie die Engländer ihren Wunschkandidaten für die Nachfolge Beckendorfs knallhart durchsetzten. Walter von Weizenbeck kam an Bord …« Das schmale Asketengesicht sah beim Aussprechen des Namens aus, als hätte Nagelschneider in eine unreife Zitrone gebissen. »Machen wir es kurz: Seitdem herrscht Krieg im Vorstand. Von Weizenbeck und ich sitzen in derselben Etage des Hauptverwaltungsgebäudes, aber wir verkehren nur noch schriftlich miteinander. Ich mische mich nicht in seine Ressorts, er sich nicht in meine. Bisher zumindest. Ich bin wild entschlossen, nicht aufzugeben, und werde die vollen fünf Jahre durchhalten und – im Sinne der Familie Schuegraf und des Konzerns – das Unternehmen so weit wie möglich auf dem richtigen Kurs halten. Dazu brauche ich in meinen Ressorts enge Vertraute, Mitarbeiter, die sich nicht von Weizenbeck und seinen immer zahlreicheren Fahnenträgern einschüchtern lassen. Leute, mit einem klaren Verstand wie Sie, Glock!« Der Vorstand war stehengeblieben und sah ihn eindringlich an. War Nagelschneider eigentlich gar nicht bewusst, dass er (wenn die These von Alois Rauch zu Beckendorfs Unfalltod stimmte) in Lebensgefahr schwebte? Nagelschneider schien wirklich von einem Unfall auszugehen. Er erwähnte die tollkühne Hypothese zum Mord an Beckendorf ebenso wenig wie die anderen beunruhigenden Vorkommnisse, sondern verlegte sich stattdessen auf ein paar gezielte Fragen.
»Warum wollten Sie meinen alten Chef, Röckl, so plötzlich pensionieren? Er war Ihnen gegenüber doch immer 100%ig loyal, oder! ?«
»War er auch. Nur hatte man ihn in der Hand – er wurde mit seiner Homosexualität erpresst, von der nicht einmal seine Familie etwas wusste. Man verlangte von ihm, zukünftig bei jeder meiner Anweisungen erst Rücksprache mit dem Stab von Weizenbecks zu nehmen und diesem systematisch alle interessanten Informationen aus der AfU zukommen zu lassen. Noch bevor ich sie selbst erhalten sollte … Als Röckl mir das gestanden hatte, war klar, was zu tun war: Ihn zu seinem und meinem Schutz sofort aus der Schusslinie nehmen! Allerdings hatte ich schon eine ganze Zeit lang das Gefühl gehabt, dass mit Röckl etwas nicht stimmte und ich ihm nicht mehr rückhaltlos vertrauen konnte. Darum gab ich auch vor einigen Monaten die Anweisung aus, mir alle Vorfälle eigenhändig auf den Tisch zu legen …« Glock fragte Nagelschneider gar nicht erst nach dessen Meinung zum Selbstmord seines Chefs, sondern wollte wissen:
»Kann ich mich Ihres Erachtens auf die Leute in meinen eigenen Abteilungen verlassen ?«
»Nein, mit Sicherheit nicht auf alle. Sie müssen herausfinden, wer ein doppeltes Spiel treibt. Man wird versuchen, dort Leute unterzubringen oder langjährige Mitarbeiter zu einer Zusammenarbeit mit der Gegenseite zu bewegen. An der Erpressung von Röckl hat man ja gesehen, wozu die fähig sind !« Glocks Meinung nach wusste Nagelschneider nicht einmal annähernd, wozu die Gegenseite wirklich fähig war.
»Herr Nagelschneider. Ganz ehrlich, so falsch liegt von Weizenbeck nicht! Auch ich halte unseren Konzern in mancherlei Hinsicht für etwas verstaubt, langsam und unflexibel. Um Schuegraf auf Vordermann zu bringen, sind ein paar harte Schnitte notwendig und Personalreduzierung und ähnliches Teufelswerk gehören eben auch dazu. Viele der harten Einschnitte – und Sie wissen das –, die derzeit vorgenommen werden, basieren auf Vorschlägen und Analysen von mir selbst und meiner Abteilung. Ich kann und will meine Sympathie für einige der Ansichten unserer englischen Eigner überhaupt nicht leugnen. Was ich aber absolut nicht akzeptiere, sind die Mittel, die hier angewendet werden. Jemanden wie Röckl mit seinen sexuellen Neigungen zu erpressen, hat mit Firmenpolitik nichts zu tun. Ich werde alles daran setzen, jene Leute aus der Schuegraf AG hinauszubefördern, die anscheinend vor nichts zurückschrecken, um ihre persönlichen Ziele durchzusetzen. Egal von welcher Fraktion diese Leute auch sein mögen. Darauf haben Sie mein Wort .« Er streckte seinem Chef die Hand hin und dieser drückte sie. Während sie umkehrten, berichtete Glock von seiner Mission in Hannover, die er im Auftrag von Weizenbecks
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