Machtrausch
nicht lange nachdenken:
»Bis vor wenigen Jahren war Unterschlagung mit Abstand das größte Delikt. Mitarbeiter lenken auf geschickte und weniger geschickte Weise Gelder auf ihre Konten oder greifen einfach in die sprichwörtliche Kasse. Durch den flächendeckenden Einsatz betriebswirtschaftlicher Software wie SAP ist aber heute praktisch alles lückenlos verfolgbar. Betrug wird immer schwieriger. Mit kurzem Abstand folgte, wie Sie zu Recht vermuteten, als zweithäufigstes Delikt die klassische Bestechung. Es bekommt nicht immer der beste oder billigste Lieferant den Auftrag, sondern viel zu häufig jener, der dem Entscheider oder Einkäufer monetäre oder sonstige Vorteile verschafft. Vor zwei Wochen hatten wir den Fall …«, erläuterte der in Fahrt kommende Fittkau, »… eines Chefeinkäufers bei uns in Deutschland, der immer und immer wieder einem Lieferanten für elektronische Bauteile den Zuschlag gab, obwohl es meistens andere und auch billigere Bieter gegeben hätte. Natürlich hatte man immer eine gute, zumeist technische Begründung für die Auswahl parat. Wir kamen einfach nicht dahinter, was ablief. Also beobachteten wir ein Jahr lang das Konsum- und Freizeitverhalten des Mannes. Keine teuren Autos, keine heimlichen Treffen, kein neues Haus, nichts. Also verschafften wir uns, diskret versteht sich, Einsicht in die Zugänge seiner privaten Konten während der letzten zwei Jahre. Wieder nichts. Dann durchsuchten wir das Haus während der Ferien. Der Mann war nach Südtirol gefahren. Zwar kannten wir danach viele private Details – etwa, dass der Mann zwei erwachsene Töchter aus erster Ehe hatte –, aber es fehlte jeder Hinweis auf mögliche Bestechung. Keine Unterlagen zu Schweizer Konten, nichts.« Glock, der nicht wusste, wie lange die Geschichte noch dauern würde, warf einen recht deutlichen Blick auf seine Armbanduhr. Fittkau verstand und kam zum Ende:
»Einem unserer Leute kam schließlich der entscheidende Gedanke: Es kam hier nicht auf die Konto zuflüsse an, deren es keine ungewöhnlichen gab, sondern auf nicht vorhandene Konto abflüsse! Es stellte sich nämlich heraus, dass beide Töchter aus erster Ehe auf teuren amerikanischen Privatuniversitäten studierten, was jährlich eine Unsumme kostete. Die Studiengebühren, samt aller Nebenkosten in den USA, vom Beetle Cabrio bis zum Heimflug alle zwei Monate, bezahlte direkt die US-Tochterfirma des Bauteilelieferanten. Was ihr in Deutschland praktisch alle Aufträge sicherte, die über den Tisch des bewussten Einkäufers gingen …« Glock hätte zwar gerne noch gewusst, wie man das Problem mit dem korrupten Einkäufer gelöst hatte (Polizei? Entlassung? Gehaltshalbierung, bis Schaden abgegolten war?), hatte aber noch wichtigere Fragen.
»Und heute? Was ist heute das Hauptdelikt, nachdem Sie bisher in der Vergangenheit gesprochen haben ?« Er nahm einen weiteren Zug der köstlich erdigen Zigarre. Eine ihm unbekannte, kubanische Marke.
»Verkauf von Firmengeheimnissen .«
»Welcher Art?«
»Jeder Art. Praktisch jede Information hat einen Preis und einen potentiellen Käufer. Man denkt immer nur an klassische Konstruktionszeichnungen, wie sie im Kalten Krieg bei der Spionage eine Rolle spielten. Auch die sind natürlich begehrt, aber heutzutage wird alles verscherbelt: die Anzahl der Ingenieure, die an einem bestimmten Projekt arbeiten; der Markteinführungstermin eines neuen Produktes; die Marketingstrategie des Konzerns in Südamerika; die Pläne der Schuegraf AG, einen kleineren Wettbewerber aufzukaufen. Einfach alles. Wollen Sie ein Beispiel ?« Glock wollte keines, durfte aber die Auftauphase von Fittkau nicht unterbrechen. Also nickte er interessiert.
»Wir hatten jüngst eine ziemliche Abwanderungswelle guter Führungskräfte zu verzeichnen. Alle gingen zu Konkurrenten. Der Vorgang ist normalerweise nicht ungewöhnlich, aber die Häufung machte die Firmenleitung irgendwann stutzig. Also bekamen wir vom Vorstand den Auftrag, der Sache nachzugehen. Es zeichnete sich keinerlei Muster ab, da Mitarbeiter der unterschiedlichsten Funktionen betroffen waren. Marketingleiter in verschiedenen Ländern, gute Vertriebsleute, der Chef unserer schwedischen Tochtergesellschaft, zwei oder drei Produktionsleiter. Alle gingen zu völlig verschiedenen Wettbewerbern. Schließlich traten wir an einige der Deserteure heran, um mit ihnen ein so genanntes Exit-Gespräch zu führen. In vielen Firmen ein Standardvorgehen, wenn Mitarbeiter die Firma verlassen.
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