Machtrausch
von Anfang an darauf ab, ihm, Glock, zu zeigen, wie überaus egal es ihm war, einen neuen Chef zu haben. Er hatte sich schon von Röckl wenig sagen lassen, und ein smartes Jüngelchen wie Glock würde er auch schnell klein bekommen. Also blieb Fittkau beim Eintreten seines Vorgesetzten nicht nur hinter seinem Eichenschreibtisch sitzen, sondern er las auch unbekümmert weiter in etwas, das von weitem wie ein Reklameprospekt für Tulpenzwiebeln aussah. Solcherart mit seiner Unwichtigkeit konfrontiert, schaltete der sonst sehr entgegenkommende Glock schlagartig in einen anderen Modus um:
»Sobald Sie sich für eine Tulpenart entschieden haben, Fittkau, führen Sie mich bitte in Ihrer Abteilung hier herum und stellen mich den Leuten vor !« Der Chef der IA blickte überrascht auf und Anton setzte nach:
»Ach ja, und organisieren Sie mir bitte ein Büro in Ihrer unmittelbaren Nähe. Ich habe vor, ab sofort jede Woche mindestens einen halben Tag hier in Keferloh zu verbringen …« Richtiggehend erschrocken (oder war das Wunschdenken?) musterte Fittkau den Mann, der sich vor seinem Schreibtisch aufgebaut hatte und ächzte sich aus dem tiefen Bürosessel. Glock ignorierte die ausgestreckte Hand.
»Willkommen in Keferloh … Hören Sie, es wird für Ihre Arbeit keineswegs notwendig sein, die Leute hier persönlich kennen zu lernen. Röckl hat nicht ein einziges Mal …« Anton Glock empfand die unbedingte Rückendeckung Nagelschneiders nach dem heutigen Spaziergang als Ermutigung, klare Verhältnisse zu schaffen und dabei keine Zeit zu verlieren:
»Jetzt hören Sie mir zu: Es ist mir vollkommen egal, wie Röckl die Leitung der AfU wahrgenommen hat. Entweder, Sie stellen mir jetzt formvollendet sofort alle Mitarbeiter dieser Abteilung vor, oder ab nächsten Montag sitzt jemand anderer an diesem schönen Schreibtisch. Haben wir uns verstanden ?« Der alte Mann zuckte zusammen. Das Schöne an Menschen, die in hierarchischen Strukturen aufgewachsen sind, war ihr klares Gespür für Situationen, in denen man sich zu beugen hat. Dann schritt Fittkau aufrechten Ganges in Richtung einer Seitentür seines Büros und betrat ein Großraumbüro, in dem etwa fünfundzwanzig Schreibtische standen, von denen etwa die Hälfte besetzt war. Keiner blickte auf. Mit einem väterlichen Lächeln ging der Leiter der Abteilung mit Glock in den folgenden zwanzig Minuten von Schreibtisch zu Schreibtisch und stellte Glock seinen Mitarbeitern einzeln vor:
»Dies ist Dr. Anton Glock, der neue Chef der AfU. Wir hoffen, ihn zukünftig öfter in Keferloh sehen zu dürfen und werden ihm hier auch ein Büro zur Verfügung stellen .« Daraufhin stellte er jeden Angestellten namentlich vor und verlor jeweils ein paar Worte über den Zuständigkeitsbereich. Klare Merkmale, in denen sich die IA-Leute von normalen Mitarbeitern unterschieden, konnte Anton nicht ausmachen. Es gab ältere und jüngere, männliche und weibliche Angestellte hier. Alle hatten sie äußerst wache Augen, vielleicht bildete er sich das aber auch nur ein. Und alle schienen ihren Chef sehr zu schätzen. Das erkannte Glock an dem fast ergebenen Blick, mit dem die Leute Fittkau ansahen. Ein gutes Zeichen. Danach kehrten sie in das separate Büro zurück und schlossen die Tür hinter sich.
»Zufrieden?«
»Durchaus. Ich lege Wert darauf, die Menschen, auf die meine Entscheidungen Einfluss haben, auch persönlich zu kennen .« Fittkau zuckte hinter seinem Schreibtisch mit den Achseln und fragte Glock, ob er etwas dagegen habe, wenn er rauchte. Als dieser verneinte, zog der alte Abteilungsleiter eine Zigarre im Robusto-Format aus der Schreibtischschublade. Anton Glock bat darum, an diesem Genuss teilhaben zu dürfen, und hielt kurz darauf eine ebenso dicke Zigarre zwischen den Fingern. Zehn schweigsame Minuten später war der kleine Raum in dicke Rauchschwaden gehüllt. Glock sog genüsslich an dem Spitzenprodukt kubanischer Zigarrenkunst und freute sich plötzlich auf seinen wöchentlichen Besuch hier.
»Wie würden Sie die Aufgabenstellung Ihrer Abteilung in einfachen Hauptsätzen beschreiben ?« Falls Fittkau sich über diese Frage wunderte, sprach er es zumindest nicht aus.
»Wir spüren weltweit Mitarbeiter, Manager und Abteilungen auf, die vorsätzlich oder grob fahrlässig die Schuegraf AG schädigen. Das ist alles .«
»Was sind die häufigsten Fälle? Müsste ich raten, würde ich auf Bestechung von Schuegraf-Einkäufern durch Lieferanten tippen …«
Der alte Fittkau musste
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