Machtrausch
auszulassen. Wenn ich nicht so dringend Ihre Hilfe bräuchte, würde ich Ihre Laufbahn nicht unnötig gefährden, das kann ich Ihnen versichern !«
»Ich bin ganz Ohr .«
»Die Mehrheit unseres Unternehmens liegt, wie Sie genauso gut wie ich wissen, in den Händen der englischen Investmentfirma Business Technology Partners, an die die Gründerfamilie Schuegraf den Großteil ihrer Anteile verkauft hat. BTP hat zweierlei im Sinn, wie übrigens jeder große Finanzinvestor: Erstens wollen sie jedes Jahr eine stattliche Dividende als Verzinsung ihres eingesetzten Kapitals erhalten. Und zweitens wollen sie ihre Anteile in ein paar Jahren wieder verkaufen. An der Börse oder an einen anderen Investor, egal, Hauptsache mit ordentlichem Gewinn. Dafür muss sich der Wert der Firma bis dahin deutlich erhöhen. So weit klar ?«
»Bisher klar und überflüssig. Das ist das kleine Wirtschafts-Einmaleins, und Sie hätten mich kaum zum Strategiechef gemacht, wenn das neu für mich wäre …«
»Fein, dann steigen wir jetzt mal tiefer ein. Der Aufsichtsrat kontrolliert den Vorstand unserer AG, denn das ist seine gesetzliche Aufgabe. Im Aufsichtsrat sitzen, seit dem Verkauf von Schuegraf an BTP, mehrheitlich die Engländer. Die operative Leitung der Firma liegt natürlich nicht beim Aufsichtsrat, sondern beim Vorstand der Schuegraf AG. Bislang bestand dieser aus nur zwei Personen: Dem Vorstandsvorsitzenden, bis vor kurzem Kurt Beckendorf, der bei einem Unfall im Indischen Ozean ums Leben gekommen ist und mir, Heinrich Nagelschneider, dem Finanzvorstand. Wir beide waren seinerseits mehr oder weniger von der Familie Schuegraf persönlich ausgewählt worden, weil wir die Führung der Firma im Sinne der Familientradition garantierten. Die Prinzipien der Familie Schuegraf basierten, kurz gesagt, stets auf dem Wunsch einer langjährigen, erfolgreichen Weiterentwicklung der Firma, wobei ihnen der langfristige Bestand immer wichtiger war als kurzfristige Erfolge. Und, ohne je mit den Sozialdemokraten zu sympathisieren oder Minderleistung zu dulden: Das Wohl ihrer Arbeiter und Angestellten lag ihnen am Herzen !« Es war deutlich herauszuhören, dass er diese Einstellung teilte. Renate hatte also mit ihrer Beurteilung Recht gehabt: Nagelschneider gehörte zur Fraktion der Traditionalisten. Er schloss das Sakko bis zum letzten Knopf und schlug den Kragen hoch, weil es im Wald mit der Zeit doch etwas schattig geworden war.
»Glock, ich rate Ihnen, hören Sie auf, Bücher über Management zu lesen. Allesamt von Beratern geschrieben, von Theoretikern. Sie müssen die Gedanken großer Männer lesen, von Ben Gurion zum Beispiel, dem israelischen Politiker. Da lernt man wirklich etwas. Gurion meinte, der Unterschied zwischen einem Politiker und einem Staatsmann läge darin, dass der Politiker an die nächsten Wahlen dächte und der Staatsmann an die nächste Generation. In diesem Sinne war mein Kollege, Kurt Beckendorf, ein Staatsmann. Und der alte Schue-
graf ebenfalls .«
»Wenn der Familie Wohl und Wehe des Konzerns so sehr am Herzen liegt, warum hat man dann schlussendlich verkauft? Es gibt doch einen Sohn, Richard, der von Alter und Ausbildung her einmal den alten Schuegraf hätte beerben können, oder!? Sitzt der nicht in der Leitung unserer Servicetochter als Personalchef ?«
»Kennen Sie folgenden Witz? Der Juniorchef beschwert sich beim Vater: ›Unser Vertriebsleiter erzählt allen Kunden, ich sei ein Riesentrottel.‹ – ›Sehr ärgerlich‹, sagt der Vater, ›er ist ansonsten ein ungemein tüchtiger Mann. Aber Geschäftsgeheimnisse darf er nicht ausplaudern !‹ … Dies, mein lieber Glock, ist der Lieblingswitz des alten Schuegraf, und damit ist alles gesagt. Nein, nein, die Familie Schuegraf hat es sich mit dem Verkauf wirklich nicht leichtgemacht. Sie hat in den Vertrag mit BTP schließlich einen Passus eingebracht, der Beckendorf und mir fünf Jahre lang die Vorstandsposten sicherte. Die Familie stellte damit sicher, dass das Unternehmen auch nach dem Verkauf in ihrem Sinne weitergeführt wurde. Beckendorf und ich sind in der ersten Zeit nach dem Verkauf praktisch wöchentlich nach London zitiert worden, um alle möglichen Berichte, Profitabilitätsbetrachtungen, Maßnahmenpläne und dergleichen mehr vorzutragen. Wir wurden behandelt wie die Schulbuben und flogen jedes Mal mit neuen Hausaufgaben nach München zurück. Der Druck war – und ist! – enorm.« Glock konnte sich an diese Anfangszeit nach der Übernahme gut
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