Madam Wilkin's Palazzo
mehr den
Status eines Mieters einnimmt und der nach außen hin doch immer vehementer als
solcher vorgestellt wird, um den Bostoner Klatsch zu unterbinden. Wie einst
Dorothy L. Sayers die diffizile Liebesbeziehung zwischen Lord Peter Wimsey und
Harriet Vane über viele Detektivromane hinweg entwickelte, so schreibt
Charlotte MacLeod die nicht minder komplizierte Liebe zwischen Max und Sarah
von Band zu Band fort. Zum einen droht die unterschiedliche Herkunft das Glück
zu gefährden, aber Sarah ist selbstbewußt genug, nichts auf die Vorurteile
ihrer »white anglosaxon protestant«-Umgebung zu geben. Wer hier in Yale war,
hält Harvard für die falsche Universität, wie umgekehrt der Absolvent von
Harvard Yale verachtet — von einer Boston University, an der der jüdische
Aufsteiger Max Bittersohn promoviert hat, scheint man in diesen Kreisen nie
etwas gehört zu haben. Wie übrigens die weitverzweigte Bittersohn-Sippe
einschließlich der dominanten jüdischen Mama auf die Bostoner Aristokratin
reagieren wird, bleibt der Entwicklung späterer Bände vorbehalten...
Einstweilen ist es noch die Erinnerung an den hochherzigen, gutaussehenden,
eher väterlichen ersten Mann von Sarah, der gewaltsam zu Tode gekommen war, die
eine letzte Übereinkunft unmöglich macht, wenn auch durch einen
glücklich-unglücklichen Zufall zwischen Max und Sarah immerhin schon vorletzte
Hüllen fallen.
Zwei Verbrechensserien im eigenen Haus
haben die beiden schon als erfolgreiches Detektivteam ausgewiesen, so daß sie
jetzt für Morde »draußen« bereit zu sein scheinen. Zu Beginn von Madam
Wilkins’ Palazzo (The Palace Guard) sind sie in eben diesem Palazzo
anläßlich einer musikalischen Matinee — Max Bittersohn sucht zur Zeit den Weg
zum Herzen seiner »Pensionswirtin« über Theater- und Konzertkarten, die sonst
verfallen würden, was eine Kelling nie dulden könnte. Im Palazzo setzt
sich die Scheinwelt, die wir in den ersten Bänden schon kennengelernt haben,
gesteigert fort. Mit ihm hat Charlotte MacLeod die protzig-hyperbolische
Überbietung des realen Isabella Stewart Gardner Museum in Boston geschaffen,
das eine exzentrische Millionärin Anfang des Jahrhunderts im Stil eines
venezianischen Palazzo für ihre in der ganzen Welt zusammengerafften
Kunstschätze erbaute. MacLeods fiktive Millionärswitwe Eugenia Callista Wilkins
wollte ihre reale Rivalin übertreffen; daher kaufte sie weltweit noch wahlloser
und baute noch aufwendiger, so daß bei der Eröffnung 1911 eine boshafte Mrs.
Alexander Kelling — scharfzüngig wie unsere Heldin Sarah Alexander Kelling —
das Ergebnis mit einem babylonischen Bordell verglich. Fortan mußte Eugenia
Wilkins mit dem Spitznamen einer »Madam«, eben einer Bordellwirtin, leben,
fortan herrschte aber auch Feindschaft zwischen Mrs. Wilkins und den Kellings.
Das inzwischen in den Besitz der Stadt
Boston übergegangene kulturelle Erbstück ist eine Scheinwelt, wie Amerikaner
sie lieben - vom New Yorker Museum The Cloisters, aus authentischen
europäischen Klosterbausteinen erbaut, über Hearst Castle in San Simeon mit
seiner immerhin original erhaltenen Innenausstattung und das J. Paul Getty
Museum mit seinen echten Schätzen im Gehäuse einer gigantisch
überdimensionierten pompejanischen Villa bis hin zum kalifornischen Disneyland,
wo alles falsch ist. Der Schein erstreckt sich beim Palazzo jedoch nicht nur
auf den Baustil, sondern auch auf die angehäuften Kunstschätze: Das Gemälde von
Romney ist mit Sicherheit eine Kopie, wie Sarah sofort weiß, da sich das
Original seit Generationen im Kelling-Besitz befindet und zur Zeit bei einer
ihrer Tanten hängt. Diese Fälschung wird sich wohl schon die nicht sehr
kenntnisreiche Eugenia Wilkins andrehen haben lassen; aber Bittersohns nun
mißtrauisch gewordenem Blick entgeht es nicht, daß inzwischen auch die
seinerzeit unumstrittenen Originale durch Fälschungen ersetzt worden sein
müssen — nahezu keines der Wilkinsschen Bilder ist echt. Als dann unmittelbar
nach der Matinee einer der Wächter vor Sarahs und Max’ Augen von einem Balkon
zu Tode stürzt, entwickelt sich ein dem Kunsthistoriker und Detektiv Max
Bittersohn auf den Leib geschriebener Fall. Wieder einmal bewahrheitet sich das
Gesetz, daß der Detektiv einerseits und Verbrechen und Verbrecher andererseits
in all den unterschiedlichen historischen Ausprägungen des Detektivromans stets
unverbrüchlich aufeinander bezogen und miteinander verwandt sind.
Als hilfreich für die nun wegen
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