Madam Wilkin's Palazzo
vorausgesetzt,
ich ziehe mir irgendwo eine Frau an Land.«
»Cousine Theonia hat gesagt, sie will
in jeder Beziehung helfen. Das hast du doch gesagt, nicht wahr, Cousine
Theonia?«
Ein unendlich zartes Lächeln zeigte
sich auf Theonia Sorpendes würdevollem Gesicht. Eine ganze Weile saß sie völlig
unbeweglich auf ihrem Stuhl, den silbernen Teelöffel noch in der Hand. Dann
sagte sie mit ihrer melodischen Stimme: »Wie du weißt, Cousine Sarah, bin ich
immer überglücklich, wenn ich dir und deinen Lieben behilflich sein kann.«
»Verdammt noch mal, Theonia«, sprudelte
Brooks hervor, »sie hat dich doch nicht gebeten, ein verfluchtes Tischtuch zu
flicken. Bedeute ich dir denn wirklich nicht mehr als irgendeine Arbeit oder
Pflichtübung?«
Wie eine Brieftaube, die in ihren
heimatlichen Schlag zurückkehrt, flatterte eine weiße Hand mit höchst
attraktiven Grübchen in den erwartungsvollen Griff von Brooks Kellings Händen.
»Soll ich dir wirklich sagen«, gurrte Theonia Sorpende, »was du mir bedeutest?«
Sarah erhob sich und winkte Max und
Mariposa aus dem Eßzimmer. Als sie den Raum verließen, hörten sie leises,
freudiges Trommeln, das wie das Flattern von Flügeln auf einem hohlen Ast
klang. Es war das Balzritual des Rauhfußhahns. Cousin Brooks hielt um Theonias
Hand an.
Nachwort
»T otus mundus agit historionem« — Die
ganze Welt agiert als Schauspieler, stand einst in Shakespeares Globe-Theater.
Dies gilt im besonderen Maße für den Detektivroman, den Gilbert Keith
Chesterton, der frühe Meister und kenntnisreiche Kritiker des Genres, einmal
eine »Komödie der Masken, nicht der Gesichter« genannt hat.
In stärkerem Maße als für Charlotte
MacLeods Serie um das angesehene landwirtschaftliche Balaclava-College (Schlaf
in himmlischer Ruh ’, DuMont’s Kriminal-Bibliothek 1001, und die Folgebände)
gilt für ihre Bostoner Serie um die schöne Sarah Kelling und ihren
detektivischen Berater Max Bittersohn (Die Familiengruft , DuMont’s
Kriminal-Bibliothek 1012; Der Rauchsalon, DuMont’s Kriminal-Bibliothek
1022), daß die Alltagswelt mehr und mehr zur Kulisse wird und der Bereich
dahinter meist Unerfreuliches offenbart. Schließlich fallen die Masken, die
fast alle Personen im Detektivroman tragen, eine nach der anderen, bis auch der
letzte zum Schluß meist gewaltsam demaskiert wird.
Das begann im ersten Roman in Sarah
Kellings eigenem Haus, einem der vornehmsten in Bostons Nobelwohngegend Beacon
Hill, als in der Familiengruft die sprichwörtliche »Leiche im Keller« gefunden
wird und sich herausstellt, daß das Leben in eben diesem Haus seit Jahren darin
bestand, mühsam die Fassade zu wahren. Der traditionelle Reichtum aller Zweige
der Kellings war bei den Alexander Kellings längst dahin, und daß man überhaupt
den Schein wahren konnte, lag an einer Eigentümlichkeit, die dem Leser
Charlotte MacLeods von Band zu Band eindringlicher vor Augen geführt wird: Die
Bostoner Aristokratie, gleichgültig wie reich sie ist und wie spendenfreudig
sie für das öffentliche Wohl eintritt, zeichnet sich privat ausnahmslos durch
einen immensen Geiz aus. Da gibt es keinen, der nicht einen heimlichen Triumph
empfände, wenn er eine Autofahrt, eine Übernachtung oder ein Abendessen umsonst
bekommt. In diesen Kreisen gilt es nicht als Sottise, sondern als doppeltes
Kompliment, wenn ein Onkel seiner Nichte sagt, das Kleid, in dem er schon ihre
Mutter immer bewundert habe, stehe ihr besonders gut.
Band für Band entwickelt sich die Entlarvung
und Enthüllung von Scheinwelten. Hatte Sarah Kelling im ersten Band unwissend
in einer solchen gelebt, so gründet sie im Rauchsalon selbst eine: Um
das Stadthaus und den Sommersitz der Familie, die bis über die Dächer mit
juristisch zweifelhaften Hypotheken belastet sind, bis zu einem
Gerichtsentscheid halten zu können, wandelt Sarah den Familiensitz in eine
vornehme Pension um, in der fast nichts mehr »wirklich« ist: Der Butler ist nur
darum der perfekteste Butler Bostons, weil er in Wirklichkeit ein meist
arbeitsloser Schauspieler ist, der neben seinen Fabrikjobs abends gern einige
Stunden den Butler mimt. Die angebliche Köchin gibt es überhaupt nicht; sie
wird — ohne daß es die Gäste merken — von Sarah selbst gespielt. Und wie sich
bald herausstellt, sind auch einige Gäste nicht das, was sie zu sein vorgeben.
Dies gilt vor allem mehr und mehr für
den Pensionsgast Max Bittersohn, der in Sarahs Herzen längst nicht
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