Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
Rouault sagte jedem, besser hätten ihn auch die vortrefflichsten Ärzte aus Yvetot oder sogar aus Rouen nicht kurieren können.
Charles fragte sich kein bisschen, warum er so gern nach Les Bertaux ritt. Hätte er nachgedacht, er würde seinen Eifer sicher auf den schwierigen Fall zurückgeführt haben oder vielleicht auf den Gewinn, den er sich erhoffte. Lag es aber wirklich an diesen Dingen, dass seine Besuche auf dem Gehöft unter den armseligen Beschäftigungen seines Lebens eine bezaubernde Ausnahme bildeten? An solchen Tagen erhob er sich früh, galoppierte davon, trieb sein Tier zur Eile, stieg schließlich ab, um sich im Gras die Füße zu reinigen, und streifte seine schwarzen Handschuhe über, bevor er einritt. Er mochte es, wenn er in den Hof kam, an seiner Schulter das Gatter spürte, das aufschwang, und er mochte den Hahn, der auf der Mauer krähte, die Burschen, die herbeiliefen. Er mochte Scheune und Pferdeställe; er mochte Vater Rouault, der ihm kräftig die Hand drückte und ihn seinen Retter nannte; er mochte Mademoiselle Emmas kleine Holzpantinen auf den gescheuerten Fliesen der Küche; die hohen Absätze machten sie etwas größer, und wenn sie vor ihm herging, schlugen die rasch auf und ab wippenden Sohlen mit hartem Klackern gegen das Leder der Stiefelchen.
Sie begleitete ihn stets bis zur ersten Stufe der Außentreppe. Wenn sein Pferd noch nicht bereitstand, wartete sie. Man hatte sich voneinander verabschiedet, redete nichts mehr; die frische Luft umfing sie, blies ihre flaumigen kleinen Nackenhaare durcheinander oder zerrte an den Schürzenbändern, die über ihren Hüften flatterten wie Fähnchen. Einmal, bei Tauwetter, nässelten die Baumrinden im Hof, der Schnee auf den Dächern der Gebäude schmolz. Sie stand in der Tür; sie ging ihren Sonnenschirm holen, öffnete ihn. Der Schirm aus taubenblauer Seide, den Sonnenstrahlen durchdrangen, warf ein bebendes Schillern auf die weiße Haut ihres Gesichts. Sie lächelte darunter in der lauen Wärme; und man hörte die Wassertropfen einen nach dem anderen auf das gespannte Moiré fallen.
In der ersten Zeit, da Charles Les Bertaux aufsuchte, erkundigte sich die junge Madame Bovary stets nach dem Kranken, und sie hatte in ihrem Ausgaben-Einnahmen-Buch für Monsieur Rouault sogar ein schönes leeres Blatt genommen. Als sie jedoch hörte, dass er eine Tochter hatte, betrieb sie Nachforschung; sie erfuhr, dass Mademoiselle Rouault im Kloster, bei den Ursulinen, zur Schule gegangen war und, wie man so sagt, eine gute Erziehung genossen hatte, dass sie sich demzufolge auf Tanzen, Geographie, Zeichnen, Stickerei und Klavierspiel verstand. Das war die Krönung!
»Deshalb«, sagte sie sich, »strahlt sein Gesicht, wenn er zu ihr reitet, und deshalb trägt er seine neue Weste, auch wenn er Gefahr läuft, sie bei Regen zu verderben? Oh! diese Frau! diese Frau! …«
Und instinktiv war sie ihr verhasst. Zunächst machte sie sich durch Anspielungen Luft, Charles verstand sie nicht; später durch beiläufige Sticheleien, die er aus Angst vor einem Donnerwetter überhörte; schließlich durch scharfe Anwürfe, auf die er nichts zu entgegnen wusste. – Warum ritt er immer wieder nach Les Bertaux, wo Monsieur Rouault doch geheilt war und diese Leute bisher nicht gezahlt hatten? Ja! weil dort eine Person war, jemand, der zu plaudern verstand, eine Aufschneiderin, ein Schöngeist. Das war es, was er liebte: er brauchte Stadtfräuleins! – Und sie fuhr fort:
»Die Tochter von Vater Rouault, ein Stadtfräulein! Du liebe Güte! der Großvater war Schafhirte, und einen Cousin haben die, der wäre beinahe vors Schwurgericht gekommen wegen eines hinterhältigen Schlags bei einem Streit. Da besteht wahrlich kein Grund, so vornehm zu tun oder sonntags im Seidenkleid zur Kirche zu gehen, wie eine Gräfin. Ein armer Mann übrigens, der ohne die Rapsernte vom letzten Jahr nicht gewusst hätte, wie er seine Rückstände zahlen soll!«
Zermürbt unterließ Charles seine Besuche in Les Bertaux. Héloïse hatte ihm den Schwur abgerungen, dass er nicht mehr hinreiten werde, die Hand auf dem Messbuch, nach vielen Tränen und Küssen, in einem großen Liebessturm. Er gehorchte also; die Kühnheit seines Begehrens wehrte sich jedoch gegen die Unterwürfigkeit seines Verhaltens, und durch eine Art von naiver Heuchelei meinte er, das Verbot, sie zu sehen, gebe ihm ein Recht, sie zu lieben. Und außerdem war die Witwe mager; sie war ein Raffzahn; sie trug zu jeder Jahreszeit
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