Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
wollte seinen Erfolg feiern!
Er machte sich zu Fuß auf den Weg und ging nur bis zum Dorfeingang, ließ seine Mutter holen, erzählte ihr alles. Sie fand Ausreden, wälzte die Schuld für sein Scheitern auf die ungerechten Prüfer und stärkte ihn ein wenig, indem sie versprach, die Sache in Ordnung zu bringen. Erst fünf Jahre später erfuhr Monsieur Bovary die Wahrheit; sie war alt, er nahm sie hin, denn er konnte sich auch gar nicht vorstellen, sein Fleisch und Blut sei ein Dummkopf.
Charles machte sich also wieder ans Lernen und bereitete ohne Unterlass seine Prüfungsfächer vor, indem er alle Fragen vorab auswendig lernte. Er bestand mit einer recht guten Note. So ein schöner Tag für seine Mutter! Man lud zu einem großen Essen.
Wo sollte er seine Kunst ausüben? In Tostes. Dort gab es nur einen alten Arzt. Lange schon wartete Madame Bovary auf seinen Tod, und der gute Mann war noch nicht abgetreten, da hatte Charles sich bereits auf der anderen Straßenseite niedergelassen, als Nachfolger.
Doch es war nicht genug, dass sie ihren Sohn großgezogen, ihm das medizinische Studium ermöglicht und Tostes als Wirkungsstätte entdeckt hatte: Er brauchte eine Frau. Sie fand ihm eine: die Witwe eines Gerichtsvollziehers aus Dieppe, die fünfundvierzig Jahre zählte und Einkünfte von zwölfhundert Livre.
Obwohl hässlich, dürr wie ein Reisigbündel und voll knospender Pickel wie ein Frühlingsstrauch, fehlte es Madame Dubuc nicht an Bewerbern. Um ans Ziel zu gelangen, musste Madame Bovary alle anderen ausstechen, ja, sie durchkreuzte sogar äußerst geschickt die Intrigen eines Metzgers, den die Priesterschaft unterstützte.
Charles hatte von der Ehe den Beginn eines besseren Lebens erhofft, geglaubt, er werde freier sein und könne über sich und sein Geld verfügen. Doch seine Frau war Herr im Haus; in Gesellschaft durfte er dies sagen und jenes nicht, er musste freitags fasten, sich kleiden, wie sie es wollte, auf ihre Anordnung hin Patienten drängen, die nicht bezahlten. Sie öffnete seine Briefe, spionierte ihm hinterher und lauschte an der Trennwand, wenn er in seinem Arbeitszimmer Sprechstunde hielt und Frauen kamen.
Sie verlangte jeden Morgen ihre Schokolade, Rücksicht ohne Ende. Ständig jammerte sie über ihre Nerven, ihre Brust, ihre Gemütszustände. Das Geräusch von Schritten tat ihr weh; ging man fort, wurde die Einsamkeit ihr unerträglich; kehrte man zurück, war es doch nur, um sie sterben zu sehen. Abends, wenn Charles nach Hause kam, streckte sie ihre langen, mageren Arme unter den Laken hervor, schlang sie um seinen Hals, zwang ihn, sich auf den Bettrand zu setzen, und klagte ihr Leid: Er vernachlässigte sie, er liebte eine andere! Man hatte ihr ja vorausgesagt, dass sie unglücklich würde; und am Ende bat sie um irgendeinen Saft für die Gesundheit und ein bisschen mehr Liebe.
Anmerkungen
II.
Eines Nachts, gegen elf, wurden sie vom Hufschlag eines Pferdes geweckt, das genau vor ihrer Tür stehenblieb. Das Dienstmädchen öffnete die Dachluke und verhandelte eine Weile mit dem Mann, der unten auf der Straße wartete. Er kam den Arzt holen; er hatte einen Brief. Nastasie ging vor Kälte zitternd die Treppe hinunter und öffnete Schloss und Riegel, eins nach dem anderen. Der Mann ließ sein Pferd stehen, folgte dem Dienstmädchen und trat plötzlich hinter ihr ins Schlafzimmer. Aus seiner Wollmütze mit grauen Quasten zog er ein Schreiben hervor, das in ein Tuch gewickelt war, und überreichte es taktvoll Charles, der sich zum Lesen auf sein Kopfkissen stützte. Nastasie stand neben dem Bett und hielt das Licht. Madame hatte sich aus Schamhaftigkeit zur Wand gedreht und zeigte den Rücken.
Dieses Schreiben, versiegelt mit einem kleinen Siegel aus blauem Wachs, ersuchte Monsieur Bovary inständig, sofort auf das Gehöft Les Bertaux zu kommen, um ein gebrochenes Bein einzurichten. Nun sind es aber von Tostes nach Les Bertaux gut sechs Meilen, über Longueville und Saint-Victor. Die Nacht war tiefschwarz. Die junge Madame Bovary hatte Angst, ihrem Mann könnte etwas zustoßen. Also wurde beschlossen, der Stallknecht solle vorausreiten. Charles würde drei Stunden später aufbrechen, sobald der Mond am Himmel stand. Man würde ihm einen Jungen entgegenschicken, der ihn zum Gehöft führen und die Umzäunungen öffnen sollte.
Gegen vier Uhr morgens machte sich Charles, gut eingewickelt in seinen Mantel, auf nach Les Bertaux. Noch ganz benommen von der Wärme des Schlafes, ließ er sich
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