Madame Bovary
Analyse zu machen, Herr
Professor, und deshalb
primo
ganz vorsichtig in
ein Reagenzgläschen….«
»Dienlicher wäre es gewesen,« sagte der Chirurg, »wenn Sie ihr
Ihre Finger in den Hals gesteckt hätten.«
Kollege Canivet sagte gar nichts dazu, dieweil er soeben unter
vier Augen eine energische Belehrung wegen seines Brechmittels
eingesteckt hatte. Er, der bei Gelegenheit des Klumpfußes so
hochfahrend und redselig gewesen war, verhielt sich jetzt
mäuschenstill. Er lächelte nur unausgesetzt, um seine Zustimmung zu
markieren.
Homais strahlte vor Hausherrenstolz. Selbst der betrübliche
Gedanke an Bovary trug – in egoistischer Kontrastwirkung –
unbestimmt zu seiner Freude bei. Die Anwesenheit des berühmten
Arztes stieg ihm in den Kopf. Er kramte seine ganze Gelehrsamkeit
aus. Kunterbunt durcheinander schwatzte er von Kanthariden,
Pflanzengiften, Manzanilla, Schlangengift usw.
»Ich habe sogar einmal gelesen, Herr Professor, daß mehrere
Personen nach dem Genusse von zu stark geräucherter Wurst erkrankt
und plötzlich gestorben sind. So berichtet wenigstens ein
hochinteressanter Aufsatz eines unserer hervorragendsten
Pharmazeuten, eines Klassikers meiner Wissenschaft,… ein Aufsatz
des berühmten Cadet de Gassicourt!«
Frau Homais erschien mit der Kaffeemaschine. Homais
pflegte sich nämlich den Kaffee nach Tisch
selbst zu bereiten. Er hatte ihn auch eigenhändig gemischt,
gebrannt und gemahlen.
»
Saccharum
gefällig, Herr Professor?« fragte
er, indem er ihm den Zucker anbot.
Dann ließ er alle seine Kinder herunterkommen, da er neugierig
war, die Ansicht des Chirurgen über ihre »Konstitution« zu
hören.
Als Larivière im Begriffe stand aufzubrechen, bat ihn Frau
Homais noch um einen ärztlichen Rat in betreff ihres Mannes. Er
schlief nämlich allabendlich nach Tisch ein. Davon bekäme er dickes
Blut.
Der Arzt antwortete mit einem Scherze, dessen doppelten Sinn sie
nicht verstand, dann ging er zur Türe. Aber die Apotheke war voller
Leute, die ihn konsultieren wollten, und es gelang ihm nur schwer,
sie loszuwerden. Da war Tüvache, der seine Frau für schwindsüchtig
hielt, weil sie öfters in die Asche spuckte; Binet, der bisweilen
an Heißhunger litt; Frau Caron, die es am ganzen Leibe juckte;
Lheureux, der Schwindelanfälle hatte; Lestiboudois, der rheumatisch
war; Frau Franz, die über Magenbeschwerden klagte. Endlich brachten
ihn die drei Pferde von dannen. Man fand aber allgemein, daß er
sich nicht besonders liebenswürdig gezeigt habe.
Nunmehr wurde die Aufmerksamkeit auf den Pfarrer Bournisien
gelenkt, der mit dem Sterbesakrament an den Hallen hinging.
Seiner Weltanschauung treu, verglich Homais die Geistlichen mit
den Raben, die der Leichengeruch anlockt. Der Anblick eines
»Pfaffen« war ihm ein Greuel. Er mußte bei einer Soutane immer an
ein Leichentuch denken, und so verwünschte er jene schon deshalb,
weil er dieses fürchtete.
Trotzdem verzichtete er nicht auf die gewissenhafte Erfüllung
seiner »Mission«, wie er es nannte, und kehrte mit Canivet,
dem dies von Larivière dringend ans Herz
gelegt worden war, in das Bovarysche Haus zurück. Wenn seine Frau
nicht völlig dagegen gewesen wäre, hätte er sogar seine beiden
Knaben mitgenommen, damit sie das große Ereignis, das der Tod eines
Menschen ist, kennen lernten. Es sollte ihnen eine Lehre, ein
Beispiel, ein ernster Eindruck sein, eine Erinnerung für ihr ganzes
weiteres Leben.
Sie fanden das Zimmer voll düstrer Feierlichkeit. Auf dem mit
einem weißen Tischtuch bedeckten Nähtische stand zwischen zwei
brennenden Wachskerzen ein hohes Kruzifix; daneben eine silberne
Schüssel und fünf oder sechs Stück Watte. Emmas Kinn war ihr auf
die Brust hinabgesunken, ihre Augen standen unnatürlich weit offen,
und ihre armen Hände tasteten über den Bettüberzug hin, mit einer
jener rührend-schrecklichen Gebärden, die Sterbenden eigen sind.
Man hat die Empfindung, als bereiteten sie sich selber ihr
Totenbett. Karl stand am Fußende des Lagers, ihrem Antlitz
gegenüber, bleich wie eine Bildsäule, tränenlos, aber mit Augen,
die rot waren wie glühende Kohlen. Der Priester kniete und murmelte
leise Worte.
Emma wandte langsam ihr Haupt und empfand beim Anblick der
violetten Stola sichtlich Freude. Offenbar fühlte sie einen
seltsamen Frieden, eine Wiederholung derselben mystischen Wollust,
die sie schon einmal erlebt hatte. Etwas wie eine Vision von
himmlischer Glückseligkeit betäubte ihre letzten Leiden.
Der
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