Madame Bovary
sind die Umstehenden immer wie
betäubt. So schwer ist es, den Hereinbruch des ewigen Nichts zu
begreifen und sich dem Glauben daran zu ergeben. Karl aber, als er
sah, daß Emma unbeweglich dalag, warf sich über sie und schrie:
»Lebwohl! Lebwohl!«
Homais und Canivet zogen ihn aus dem Zimmer.
»Fassen Sie sich!«
»Ja!« rief er und machte sich von ihnen los. »Ich will
vernünftig sein! Ich tue ja nichts. Aber lassen Sie mich! Ich muß
sie sehen! Es ist meine Frau!«
Er weinte.
»Weinen Sie nur!« sagte der Apotheker. »Lassen Sie der Natur
freien Lauf! Das wird Sie erleichtern!«
Da wurde Karl schwach wie ein Kind und ließ sich in die Große
Stube im Erdgeschoß hinunterführen. Homais ging bald darnach in
sein Haus zurück.
Auf dem Markte wurde er von dem Blinden angesprochen, der sich
bis Yonville geschleppt hatte, um die Salbe zu holen. Jeden
Vorübergehenden hatte er gefragt, wo der Apotheker wohne.
»Großartig! Als wenn ich gerade jetzt nicht schon genug zu tun
hätte! Bedaure! Komm ein andermal!«
Er verschwand schnell in seinem Hause.
Er hatte zwei Briefe zu schreiben, einen beruhigenden Trank für
Bovary zu brauen und ein Märchen zu ersinnen, um Frau Bovarys
Vergiftung auf eine möglichst harmlose Weise zu erklären. Er wollte
einen Artikel für den »Leuchtturm von Rouen« daraus machen.
Außerdem wartete eine Menge neugieriger Leute auf ihn. Alle wollten
Genaueres wissen. Nachdem ermehreremals
wiederholt hatte, Frau Bovary habe bei der Zubereitung von
Vanillecreme aus Versehen Arsenik statt Zucker genommen, begab er
sich abermals zu Bovary.
Er fand ihn allein. Canivet war eben fortgefahren. Karl saß im
Lehnstuhl am Fenster und starrte mit blödem Blick auf die
Dielen.
»Wir müssen die Stunde für die Feierlichkeit festsetzen!« sagte
der Apotheker.
»Wozu? Für was für eine Feierlichkeit?« Stammelnd und voll
Grauen fügte er hinzu: »Nein, nein … nicht wahr? Ich darf sie
dabehalten?«
Um seine Haltung zu bewahren, nahm Homais die Wasserflasche vom
Tisch und begoß die Geranien.
»O, ich danke Ihnen!« sagte Karl. »Sie sind sehr gütig….«
Er wollte noch mehr sagen, aber die Fülle von Erinnerungen, die
des Apothekers Tun in ihm wachrief, überwältigte ihn. Es waren
Emmas Blumen!
Homais gab sich Mühe, ihn zu zerstreuen, und begann über die
Gärtnerei zu plaudern. Die Pflanzen hätten die Feuchtigkeit sehr
nötig. Karl nickte zustimmend.
»Jetzt werden auch bald schöne Tage kommen….«
Bovary seufzte.
Der Apotheker wußte nicht mehr, wovon er reden sollte, und schob
behutsam eine Scheibengardine beiseite.
»Sehn Sie, da drüben geht der Bürgermeister!«
Karl wiederholte mechanisch:
»Da drüben geht der Bürgermeister!«
Homais wagte nicht, auf die Vorbereitungen zum Begräbnis
zurückzukommen. Erst der Pfarrer brachte Bovary zu einem
Entschlusse hierüber.
Karl schloß sich in sein Sprechzimmer ein, ergriff die Feder,
und nachdem er eine Zeitlang geschluchzt hatte, schrieb er:
»Ich bestimme, daß man meine Frau
in ihrem Hochzeitskleid begrabe, in weißen Schuhen, einen Kranz auf
dem Haupte. Das Haar soll man ihr über die Schultern legen. Drei
Särge: einen aus Eiche, einen aus Mahagoni, einen von Blei. Man
soll mich nicht trösten wollen! Ich werde stark sein. Und über den
Sarg soll man ein großes Stück grünen Samt breiten. So will ich es!
Tut es!«
Man war über Bovarys Romantik arg erstaunt, und der Apotheker
ging sofort zu ihm hinein, um ihm zu sagen:
»Das mit dem Samt scheint mir übertrieben. Allein die
Kosten….«
»Was geht Sie das an!« schrie Karl. »Lassen Sie mich! Sie haben
sie nicht geliebt! Gehn Sie!«
Der Priester faßte Karl unter den Arm und führte ihn in den
Garten. Er sprach von der Vergänglichkeit alles Irdischen. Gott sei
gut und weise. Man müsse sich ohne Murren seinem Ratschluß
unterwerfen. Man müsse ihm sogar dafür danken.
Aber Karl brach in Gotteslästerungen aus.
»Ich verfluche ihn, euren Gott!«
»Der Geist des Aufruhrs steckt noch in Ihnen!« seufzte der
Priester.
Bovary ließ ihn stehen. Mit großen Schritten ging er die
Gartenmauer entlang, an den Spalieren hin. Er knirschte mit den
Zähnen und sah mit Blicken zum Himmel, die Verwünschungen waren.
Aber auch nicht ein Blatt wurde davon bewegt.
Es begann zu regnen. Karls Weste stand offen. Nach einer Weile
fror ihn. Er ging ins Haus zurück und setzte sich an den Herd in
der Küche.
Um sechs Uhr hörte er Wagengerassel draußen auf dem Markte. Es
war die
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