Madame Bovary
Wirtschaft ließ sie jetzt alles gehen, wie es ging. Ihre
Schwiegermutter, die einen Teil der Fastenzeit zu Besuch nach
Tostes kam, war ob dieses Wandels arg verdutzt. Emma, die erst in
ihrem Äußeren so akkurat und adrett gewesen war, lief nunmehr
tagelang in ihrem Morgenkleide umher, trug graue baumwollne
Strümpfe und fing an zu knausern und zu geizen. Sie meinte, man
müsse sich einschränken, da sie nicht reich seien, fügte aber
hinzu, sie sei höchst zufrieden und überaus glücklich, und in
Tostes gefalle es ihr über alle Maßen. Mit solch wunderlichen Reden
beschwichtigte sie die alte Frau Bovary. Im übrigen zeigte sie sich
für die guten Lehren der Schwiegermutter nicht empfänglicher denn
früher. Als diese gelegentlich die Bemerkung machte, die Herrschaft
sei für die Gottesfurcht der Dienstboten verantwortlich, ward Emmas
Antwort von einem so zornigen Blick und
einem so eiskalten Lächeln begleitet, daß die gute Frau ihr nicht
wieder zu nahe kam.
Emma wurde unzugänglich und launisch. Sie ließ sich besondre
Gerichte zubereiten, die sie dann aber nicht anrührte; an dem einen
Tage trank sie nichts als Milch und am andern ein Dutzend Tassen
Tee. Oft war sie nicht aus dem Hause zu bekommen, und bald war ihr
wieder die Stubenluft zum Ersticken. Sie sperrte alle Fenster auf
und konnte sich nicht leicht genug anziehen. Wenn sie das
Dienstmädchen angefahren hatte, machte sie ihr im nächsten
Augenblicke Geschenke oder ließ sie in die Nachbarschaft ausgehen.
Aus ähnlicher Bizarrerie warf sie bisweilen armen Leuten alles
Kleingeld hin, das sie bei sich hatte, obgleich sie eigentlich gar
nicht weichherzig und mitleidig war, just wie alle Menschen, die
auf dem Lande groß geworden sind und lebenslang etwas von der Härte
der väterlichen Hände in ihrem Herzen behalten.
Gegen Ende des Februars brachte Vater Rouault in Erinnerung an
seine Heilung persönlich eine prächtige Truthenne und blieb drei
Tage im Hause seines Schwiegersohnes. Während Karl auf Praxis war,
leistete ihm seine Tochter Gesellschaft. Er rauchte in ihrem
Zimmer, spuckte in den Kamin, schwatzte von Ernteaussichten,
Kälbern, Kühen, Hühnern und von den Gemeinderatssitzungen. Wenn er
wieder hinausgegangen war, schloß sie ihre Tür mit einem Gefühl der
Befriedigung ab, das ihr selber sonderbar vorkam.
Ihre Verachtung aller Menschen und Dinge verhehlte sie fortan
immer weniger. Bisweilen gefiel sie sich darin, die merkwürdigsten
Ansichten zu äußern. Sie tadelte, was andre für gut hielten, und
billigte Dinge, die für unnatürlich oder unmoralisch erklärt
wurden. Karl machte mitunter verwunderte Augen dazu.
Sollte dieses Jammerdasein ewig dauern? So fragte sie
sich immer wieder. Sollte sie niemals von
hier fortkommen? Sie war doch ebensoviel wert wie alle die
Menschen, die glücklich waren! In Vaubyessard hatte sie Herzoginnen
gesehen, die plumper im Wuchs waren als sie und ein gewöhnlicheres
Benehmen hatten. Sie verwünschte die Ungerechtigkeit ihres
Schöpfers und drückte ihr Haupt weinend an die Wände vor lauter
Sehnsucht nach dem Tumult der Welt, ihren nächtlichen Maskeraden
und frechen Freuden und allen den Tollheiten, die sie nicht kannte
und die es doch gab.
Sie wurde immer blasser und litt an Herzklopfen. Karl verordnete
ihr Baldriantropfen und Kampferbäder. Das machte sie nur noch
reizsamer.
An manchen Tagen redete sie ohne Unterlaß wie eine Fieberkranke.
Dieser Aufgeregtheit folgte ein plötzlicher Umschlag in einen
Zustand von Empfindungslosigkeit. Dann lag sie stumm da, ohne sich
zu rühren, und es wirkte bei ihr nur ein Belebungsmittel: das
Übergießen mit Kölnischem Wasser.
Dieweil sie sich fortwährend über Tostes beklagte, bildete sich
Karl ein, ihr Leiden sei zweifellos durch irgendwelchen örtlichen
Einfluß verursacht, und so begann er ernstlich daran zu denken,
sich in einer andren Gegend niederzulassen.
Um diese Zeit fing Emma an, Essig zu trinken, weil sie mager
werden wollte. Sie bekam einen leichten trocknen Husten und verlor
jegliche Eßlust.
Es fiel Karl sehr schwer, Tostes aufzugeben, wo er gerade jetzt,
nach vierjähriger Praxis, ein gemachter Mann war. Indessen, es
mußte sein! Er ließ Emma in Rouen von seinem ehemaligen Lehrmeister
untersuchen. Es sei ein nervöses Leiden; Luftveränderung wäre
vonnöten.
Karl zog nun allerorts Erkundigungen ein, und da brachte er in
Erfahrung, daß im Bezirk von Neufchâtel in einem größerenMarktflecken namens Abtei Yonville der bisherige
Arzt,
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