Madame Bovary
anziehen, wie uns nähren, ohne die Landwirtschaft? Aber,
meine Herren, wir brauchen gar nicht so weit zu gehen. Hat nicht
jeder von uns schon manchmal über die Bedeutung jenes bescheidenen
Tierchens nachgedacht, das die Zierde
unserer Bauernhöfe ist und uns gleichzeitig ein weiches Kopfkissen,
einen saftigen Braten für unsern Tisch und die Eier schenkt? Ich
käme nicht zu Ende, wenn ich alle die andern verschiedenen
Erzeugnisse lückenlos aufzählen müßte, mit denen die wohlbebaute
Erde wie eine großmütige Mutter ihre Kinder überschüttet. Ich nenne
nur den Weinstock, den Baum, der uns den Apfelwein spendet, und den
Raps. Dann haben wir den Käse und den Flachs. Meine Herren,
vergessen wir den Flachs nicht! Der Flachsbau hat in den letzten
Jahren einen bedeutenden Aufschwung genommen, auf den ich Ihre
Aufmerksamkeit ganz besonders hinlenken möchte….«
Dieser Appell war eigentlich unnötig, denn die Menge lauschte
offenen Mundes und ließ sich kein Wörtchen entgehen. Der
Bürgermeister, der zur Seite des Redners saß, horchte mit
aufgerissenen Augen. Derozerays schloß die seinen hin und wieder
voller Andacht. Und der Apotheker, der seinen Platz etwas weiter
weg hatte, hielt sich eine Hand ans Ohr, um Silbe für Silbe
ordentlich zu verstehen. Die übrigen Preisrichter nickten bedächtig
mit den gesenkten Häuptern, um ihre Zustimmung zu erkennen zu
geben. Die Feuerwehr stützte sich auf ihre Gewehre, und Binet stand
immer noch stramm da im Stillgestanden und mit vorschriftsmäßiger
Säbelhaltung. Hören konnte er vielleicht, aber sehen nicht, weil
ihm die Blende seines Helms bis über die Nase reichte. Sein
Leutnant, der jüngste Sohn des Bürgermeisters, hatte einen noch
größeren auf. Dieses Ungetüm wackelte ihm fortwährend auf dem Kopfe
hin und her. Überdies sah der Zipfel eines seidnen Tuches hervor,
das er untergestopft hatte. Er lächelte wie ein artiges Kind unter
dem Helme hervor, und sein schmales blasses Gesicht, über das
Schweißtropfen rannen, verriet zugleich helle Freude und müde
Abspannung.
Der Marktplatz war bis an die Häuser heran voller
Menschen. In allen Fenstern erblickte man
Leute, ebenso auf allen Türschwellen. Vor dem Schaufenster der
Apotheke stand Justin, ganz versunken in das Schauspiel vor seinen
Augen. Trotzdem um den Redner herum Stille herrschte, verlor sich
seine Stimme doch bereits in einiger Entfernung im Winde. Nur
einzelne abgerissene Worte drangen weiter, von denen das Geräusch
hin- und hergerückter Stühle auch noch einen Teil verschlang. Noch
weiter weg vernahm man dicht hinter sich langgedehntes
Rindergebrüll oder das Blöken der Schafe, die sich einander
antworteten. Die Kuhjungen und Hirten hatten nämlich ihre Tiere
inzwischen bis auf den Markt getrieben, wo sie sich nun von Zeit zu
Zeit laut bemerkbar machten.
Rudolf war dicht an Emma herangerückt und flüsterte ihr hastig
zu:
»Muß einen diese Tyrannei der Gesellschaft denn nicht zum
Rebellen machen? Gibt es ein einziges Gefühl, das sie nicht
verdammt? Die edelsten Triebe, die reinsten Neigungen werden von
ihr verfolgt und verleumdet, und wenn sich zwei arme Herzen trotz
alledem finden, so verbündet sich alles, damit sie einander nicht
gehören können. Aber sie werden es dennoch versuchen, sie regen
ihre Flügel, und sie rufen sich. Früher oder später, in sieben
Monaten oder in sieben Jahren, sind sie doch vereint in ihrer
Liebe, weil es das Schicksal so will und weil sie füreinander
geschaffen sind….«
Er hatte die Arme verschränkt und stützte sie auf seine Knie,
und so schaute er Emma an, ganz aus der Nähe, mit starrem Blicke.
Sie konnte in seinen Augen die kleinen goldnen Kreislinien sehen,
um die schwarzen Pupillen herum, und sie roch sogar das leise
Parfüm in seinem Haar. Wollüstige Müdigkeit überfiel sie. Der
Vicomte, mit dem sie im Schlosse Vaubyessard getanzt hatte, kam ihr
in den Sinn. Sein Bart hatte genau so geduftet wie
dieses Haar, nach Vanille und Zitronen.
Unwillkürlich schloß sie die Augenlider, um den Geruch stärker zu
spüren. Aber als sie sich in ihren Stuhl zurücklehnte, fiel ihr
Blick gerade auf die alte Postkutsche, fern am Horizonte, die
langsam die Höhe von Leux herabfuhr und eine lange Staubwolke nach
sich zog. In derselben gelben Kutsche war Leo so oft zu ihr
zurückgekommen, und auf dieser Straße da war er von ihr weggefahren
auf immerdar! Sie glaubte sein Antlitz zu sehen, im Rahmen seines
Fensters. Dann verschwamm alles, und Nebel zogen
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