Madame Bovary
vorüber. Es kam
ihr vor, als wirble sie wie damals im Walzer, in der Lichtflut des
Ballsaales, im Arme des Vicomte. Und Leo wäre nicht weit weg,
sondern käme wieder…. Dabei spürte sie in einem fort Rudolfs Haar
dicht neben sich. Die süße Empfindung seiner Nähe vermählte sich
mit den alten Gelüsten; und wie Staubkörner, die der Wind aufjagt,
umtanzten sie diese Gefühle zusammen mit dem leisen Dufte und
betäubten ihr die Seele. Ein paarmal öffnete sie weit die
Nasenflügel, um – stoßweise – den frischen Geruch der Girlanden
einzuatmen, die um die Säulen geschlungen waren.
Sie streifte sich die Handschuhe ab und trocknete sich die
feuchtgewordnen Hände; dann fächelte sie ihren Wangen mit dem
Taschentuche Kühlung zu, wobei sie mitten durch das Hämmern des
Blutes in ihren Schläfen das Gesumme der Menge und die immer noch
Phrasen dreschende Stimme des Regierungsrates verworren
vernahm.
Er predigte:
»Fahren Sie fort! Bleiben Sie auf Ihrem Wege! Lassen Sie sich
nicht beirren, weder durch Hängenbleiben an veralteten
Überlieferungen noch durch allzu hastige Annahme von kühnen
Neuerungen! Richten Sie Ihren Eifer vor allem auf die Verbesserung
des Bodens, auf eine gute Düngung, auf die Veredelung der Pferde-,
Rinder-, Schafe- und Schweinezucht! Möge diese
Versammlung für Sie eine Art friedlicher
Kampfplatz sein, auf dem der Sieger beim Verlassen der Arena dem
Besiegten die Hand drückt wie einem Bruder und ihm den gleichen
Erfolg für die Zukunft wünscht! Und Ihr, Ihr würdigen Dienstboten,
bescheidenes Hofgesinde, um deren mühevolle Arbeit sich bisher noch
keine Regierung gekümmert hat, kommt her und empfangt den Lohn für
Eure stille Tüchtigkeit und seid überzeugt, daß die Fürsorge des
Staates fortan auch Euch gelten wird, daß er Euch ermutigt und
beschützt, daß er Euch auf begründete Beschwerden hin recht geben
wird und Euch, soweit es in seiner Macht steht, die Bürde Eurer
opferfreudigen Arbeit erleichtern wird!«
Darnach setzte sich der Regierungsrat. Jetzt erhob sich Herr
Derozerays und begann eine zweite Rede. Sie war nicht so
schwungvoll wie die Lieuvains, dafür war sie sachlicher, das heißt:
sie verriet Fachkenntnisse und gab tiefergehenden Betrachtungen
Raum. Das Lob auf die Regierung war kürzer gefaßt; die Rede
beschäftigte sich mehr mit der Landwirtschaft und der Religion. Die
Wechselbeziehungen zwischen beiden wurden beleuchtet. Beide hätten
zu allen Zeiten die Zivilisation gefördert. Rudolf plauderte mit
Frau Bovary über Träume, Vorahnungen und Suggestion. Der Redner
ging auf die Anfänge der menschlichen Gesellschaft zurück und
schilderte die barbarischen Zeiten, da sich der Mensch im Urwalde
von Eicheln genährt hatte. Später hätte man die Tierfelle abgelegt
und sich mit Tuch bekleidet, hätte Feldwirtschaft und Weinbau
begonnen. War dies nun ein Vorteil oder brachten nicht die neuen
Beschäftigungen ungleich mehr Mühen denn Nutzen? Über dieses
Problem stellte Derozerays allerhand Betrachtungen an.
Von der Suggestion war Rudolf unterdessen allmählich auf die
Wahlverwandtschaft gekommen, und während der Redner unten vom
Pfluge des Cincinnatus sprach, von Diocletian und
seinen Kohlplantagen und von den
chinesischen Kaisern, die zu Neujahr eigenhändig säen, setzte der
junge Mann der jungen Frau auseinander, daß die Ursache einer
solchen unwiderstehlichen gegenseitigen Anziehung in einer früheren
Existenz zu suchen sei.
»Nehmen Sie beispielsweise uns beide!« sagte er. »Warum haben
wir uns kennen gelernt? Hat dies allein der Zufall gefügt? War es
nicht vielmehr in beiden ein geheimer Drang, der uns gegenseitig
einander zuführte, wie zwei Ströme ineinander fließen, jeder von
weiter Ferne her?«
Er ergriff wiederum ihre Hand. Sie entzog sie ihm nicht.
»Preis für gute Bewirtschaftung …«, rief unten der Redner.
»Denken Sie doch daran, wie ich zum ersten Male in Ihr Haus
kam….«
»Herrn Bizet aus Quincampoix!«
»Wußte ich damals, daß wir so bald gute Freunde werden
sollten?«
»Siebzig Franken….«
»Hundertmal habe ich reisen wollen, aber ich bin immer wieder zu
Ihnen gekommen und hier geblieben….«
»Für Erfolge im Düngen.«
»… heute und morgen, alle Tage, mein ganzes Leben …«
»Herrn Caron aus Argueil eine goldene Medaille!«
»… denn noch keines Menschen Gesellschaft hat mich so völlig
bezaubert …«
»Herrn Bain aus Givry-Saint-Martin …«
»… und so werde ich Ihr Bild in mir tragen….«
»…
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