Madame Bovary
für einen Merino-Schafbock …«
»Sie aber werden mich vergessen! Ich bin an Ihnen
vorübergewandelt wie ein Schatten!«
»Herrn Belot aus Notre-Dame….«
»Aber nein, nicht wahr? Manchmal werden Sie
sich doch meiner erinnern?«
»Für Schweinezucht ein Preis geteilt, je achtzig Franken, den
Herren Lehérissé und Eüllembourg!«
Rudolf drückte Emmas Hand. Sie fühlte sich ganz heiß an und
zitterte wie eine gefangene Taube, die fortfliegen möchte. Sei es
nun, daß Emma versuchte, ihre Hand zu befreien, oder daß sie
Rudolfs Druck wirklich erwidern wollte: sie machte mit ihren
Fingern eine Bewegung. Da rief er aus:
»Ach, ich danke Ihnen! Sie stoßen mich nicht zurück! Sie sind so
gut! Sie fühlen, daß ich Ihnen gehöre! Ich will Sie ja nur sehen,
nur anschauen!«
Ein Windstoß, der durch die Fenster fuhr, bauschte die
Tischdecke des Tisches im Saal, und unten auf dem Markte flatterten
die mächtigen Haubenschleifen der Bäuerinnen wie weiße
Schmetterlingsflügel auf.
»Für die Herstellung von Ölkuchen….«
Der Vorsitzende fing an sich zu beeilen.
»Für Mastversuche nach flandrischer Art … Weinbau …
Feldbewässerung … langjährigen Pacht … treue Dienste….«
Rudolf sprach nicht mehr. Sie sahen sich beide an. Emmas trockne
Lippen bebten in heißestem Begehren. Weich und ganz von selbst
verschlangen sich ihre Hände.
»Katharine Nikasia Elisabeth Leroux aus Sassetot-la-Guerrière
für vierundfünfzigjährigen Dienst auf ein und demselben Gute eine
silberne Medaille im Werte von fünfundzwanzig Franken!«
Nach einer Weile hört man: »Wo ist Katharine Leroux?«
Sie erschien nicht, aber man vernahm flüsternde Stimmen.
»Geh doch!«
»Ach nein!«
»Brauchst keine Angst zu haben!«
»Nee, ist die dumm!«
»Hier! Hier steckt sie!«
»So mag sie doch vorkommen!« rief der Bürgermeister
dazwischen.
Da begann eine kleine alte Frau mit ängstlicher Gebärde zur
Estrade hinzulaufen. In ihren Lumpen sah sie selber wie zerfallen
aus. Sie hatte die Füße in derben Holzschuhen und um die Hüften
eine große blaue Schürze. Ihr mageres Gesicht, von einer schlichten
Haube umrahmt, war runzeliger als ein verschrumpfelter Apfel, und
aus den Ärmeln ihrer roten Jacke langten zwei dürre Hände mit
knochigen Gelenken heraus. Vom Staub der Scheunen, der Lauge der
Wäsche und dem Fett der Schafwolle waren sie so hornig, hart und
rissig, daß sie wie schmutzig aussahen, und doch waren sie in
reinem Wasser tüchtig gewaschen worden. Daß sie unzählige Strapazen
hinter sich hatten, das verrieten sie von selbst an ihrer demütigen
Haltung: sie standen halboffen, wie bereit, ewig Dienste zu
empfangen. Etwas wie klösterliche Strenge sprach aus den Zügen der
alten Frau und verlieh ihnen eine Spur von Vornehmheit. Es lebte
nichts Weiches in ihrem bleichen Gesicht, nichts Trauriges oder
Rührseliges. Im steten Umgang mit Tieren war ihr stumme Geduld zur
Natur geworden. Heute befand sie sich zum ersten Male inmitten
einer solchen Masse von Menschen. Die Fahnen, der Trommelwirbel,
die vielen Herren in schwarzen Röcken, das Kreuz der Ehrenlegion
auf der Brust des Rates, alles das erschüttertere bis ins Herz. Sie
stand ganz erstarrt da, sie wußte nicht, ob sie zur Estrade
vorlaufen oder enteilen sollte, und sie begriff nicht, warum man
sie nach vorn drängte und warum ihr die Preisrichter freundlich
zulächelten. Sie stand vor diesen behäbigen Bürgern als ein
verkörpertes halbes Säkulum der Knechtschaft.
»Treten Sie näher, verehrungswürdige Katharine Nikasia
Elisabeth Leroux!« sagte der
Regierungsrat, der die Liste der Preisgekrönten aus den Händen des
Vorsetzenden entgegengenommen hatte. Indem er abwechselnd auf den
Bogen und auf die Greisin backte, wiederholte er in väterlichem
Tone:
»Näher, immer näher!«
»Sind Sie denn taub?« rief Tüvache heftig und sprang von seinem
Sitze auf.
»Für vierundfünfzigjährige Dienstzeit eine silberne Medaille im
Werte von fünfundzwanzig Franken! Die ist für Sie!« wurde ihr laut
gesagt.
Die alte Frau nahm sie und sah sie sich lange an, und ein
Lächeln des Glückes sonnte ihr Gesicht. Als sie wegging, hörte man
sie vor sich hinmurmeln:
»Ich werde sie dem Herrn Pfarrer bei uns zu Hause geben, damit
er mir dermaleinst eine Messe liest.«
»Selig die Geistesarmen!« meinte der Apotheker, zum Notar
gewandt.
Der feierliche Akt war zu Ende. Die Menge verlief sich. Und
nachdem nun die Preisverteilung vorüber war, nahm jeder wieder
seinen Rang
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