Madame Bovary
ihn an, wie man einen Polarfahrer anschaut. Dann
sagte sie:
»Uns armen Frauen dagegen, uns sind die Freuden solcher
Kontraste verboten!«
»Schöne Freuden!« entgegnete er bitter. »Das Glück liegt wo ganz
anders!«
»Ach, so findet mans nirgends?«
»Doch! Eines Tages begegnet man dem Glück!« flüsterte er.
»Und das wissen Sie alle gerade am besten,« fuhr der
Regierungsrat fort, »Sie, die Sie Landwirte und Landarbeiter sind,
friedliche Vorkämpfer eines Kulturideals, Männer des Fortschrittes
und der Ordnung! Sie wissen das, sage ich, daß politische Stürme
weit furchtbarer sind denn Stürme in der Natur….«
»Ja, eines Tages begegnet man ihm!« wiederholte Rudolf, »ganz
unerwartet, gerade wenn man alle Hoffnung verloren hat! Dann öffnet
sich der Himmel, und es ist einem, als riefe eine Stimme: 'Hier ist
das Glück!' Und dem Menschen, den Sie da gefunden haben, dem müssen
Sie aus innerm Drange heraus ihr Leben anvertrauen, ihm alles
geben, alles opfern! Es werden keine Worte gewechselt. Alles ist
nur Ahnung, Gefühl! Man hat sich ja längst im Traumland
gesehen….«
Er blickte Emma an.
»Endlich ist er da, der Schatz, den man so lange gesucht hat,
leibhaftig da! Er glänzt und strahlt! Noch immer hält man ihn für
ein Traumbild. Man wagt nicht, an ihn zu glauben. Man ist
geblendet, als käme man plötzlich aus der Nacht in die Sonne….«
Rudolf begleitete seine Worte mit Gebärden. Er preßte die Rechte
auf sein Gesicht wie jemand, dem es schwindelt. Dann ließ er sie
auf Emmas Hand sinken. Sie zog sie weg.
Der Rat sprach immer weiter:
»Wen könnte das auch verwundern, meine Herren? Höchstens Leute,
die so blind wären, so verbohrt (ich scheue mich nicht, dieses Wort
zu gebrauchen!), so verbohrt in die Vorurteile abgetaner Zeiten,
daß sie die Gesinnung der Landwirte noch immer verkennen. Wo findet
man, frage ich, mehr Patriotismus als auf dem Lande? Wo mehr
Opferfreudigkeit in Dingen des Gemeinwohls? Mit einem Worte: wo
mehr Intelligenz? Meine Herren, ich meine natürlich nicht jene
oberflächliche Intelligenz, mit der sich müßige Geister brüsten,
nein, ich meine die gründliche und maßvolle Intelligenz, die sich
nur mit ersprießlichen Absichten betätigt und damit dem Vorteile
des Einzelnen wie der Förderung der Allgemeinheit dient und eine
Stütze des Staates ist, durchdrungen von der Achtung vor den
Gesetzen und dem Gefühle der Pflichterfüllung….«
»Pflichterfüllung!« wiederholte Rudolf. »Immer und überall die
Pflicht! Wie mich dieses Wort anwidert! Ein Chor von alten
Schafsköpfen in Schlafröcken und von Betschwestern mit Wärmbullen
und Gesangbüchern krächzt uns ewig die alte Litanei vor: 'Die
Pflicht, die Pflicht!' Der Teufel soll sie holen! Unsre Pflicht ist
es, alles Große in der Welt mitzufühlen, das Schöne anzubeten und
sich nicht immer gleich unter alle möglichen
gesellschaftlichen Konvenienzen zu ducken,
sich nicht zu Sklaven herabwürdigen zu lassen….«
»Indessen … indessen …«, wandte Emma ein.
»Nein, nein! Warum immer gegen die Leidenschaften kämpfen? Sind
sie nicht vielmehr das Allerschönste, was es auf Erden gibt, der
Quell des Heldensinns, der Begeisterung, der Dichtung, der Musik,
aller Künste, alles Lebens im wahren Sinne?«
»Aber man muß sich doch ein wenig nach den Leuten richten und
sich ihrer Moral fügen«, meinte Emma.
»So! Das ist dann eben die doppelte Moral,« eiferte er. »Die
eine: die kleinliche, herkömmliche, die der Leute, die in einem
fort ein andres Gesicht zieht, immer Ach und Weh schreit, im trüben
fischt und auf dem Erdboden kriecht. Das ist die all der
versammelten Troddel da unten. Und die andre: die göttliche, die um
uns ist und über uns wie die Landschaft, die uns umprangt, und der
blaue Himmel, der über uns leuchtet….«
Lieuvain wischte sich den Mund mit dem Taschentuche, dann sprach
er weiter:
»Soll ich Ihnen, meine Herren, den Nutzen der Landwirtschaft
hier noch im einzelnen darlegen? Wer sorgt für unser täglich Brot?
Wer schafft uns die Unterhaltungsmittel? Tut es nicht der Landmann?
Er und kein anderer? Meine Herren, dem Landmann, der mit seiner
schwieligen Hand das Saatkorn in die fruchtbringenden Furchen sät,
verdanken wir das Getreide, das dann, von sinnreichen Maschinen zu
Mehl gemahlen, in die Städte zu den Bäckern kommt, die Brot daraus
backen für arm und reich! Ist es nicht der Landmann, der auf den
Weiden die Schafherden hütet, damit wir Kleider haben? Wie sollten
wir uns
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