Madame Bovary
Uhrketten das ovale
Petschaft aus Karneol. Alle stemmten sie die Arme auf die Schenkel,
nachdem sie die Falten des Beinkleides sorgsam zurechtgestrichen
hatten. Das nicht dekatierte Hosentuch glänzte mehr als das Leder
ihrer derben Stiefel.
Die Damen der Gesellschaft hielten sich hinter der Estrade auf,
unter der Vorhalle zwischen den Säulen, während die große Menge dem
Rathause gegenüber stand oder teilweise auf Stühlen saß. Der Kirchendiener hatte die erst nach der Wiese
getragenen Stühle rasch wieder hierhergeschleppt und brachte immer
noch mehr aus der Kirche herzu. Durch seinen Handel entstand ein
derartiges Gedränge, daß man nur mit Mühe und Not zu der kleinen
Treppe der Estrade dringen konnte.
»Ich finde,« sagte Lheureux zu dem Apotheker, der sich nach der
Estrade durchdrängelte und gerade an ihm vorüberkam, »man hätte
zwei venezianische Maste aufpflanzen und sie mit irgendeinem
schweren kostbaren Stoff drapieren sollen, mit einer Nouveauté. Das
würde sehr hübsch ausgesehen haben!«
»Gewiß!« meinte Homais. »Aber Sie wissen ja! Der Bürgermeister
macht alles bloß nach seinem eignen Kopfe. Er hat nicht viel
Geschmack, der gute Tüvache, und künstlerischen Sinn nun gleich gar
nicht!«
Mittlerweile waren Rudolf und Emma in den ersten Stock des
Rathauses gestiegen, in den Sitzungssaal. Da dieser leer war,
erklärte Boulanger, das wäre so recht der Ort, das Schauspiel
bequem zu genießen. Er nahm zwei Stühle von dem ovalen Tisch, der
unter der Büste von Majestät stand, und trug sie an eins der
Fenster.
Die beiden setzten sich nebeneinander hin.
Unten auf der Estrade ging es lebhaft her. Alles plauderte und
tuschelte. Da erhob sich der Regierungsrat von seinem Sitze. Man
hatte inzwischen erfahren, daß er Lieuvain hieß, und nun lief sein
Name von Mund zu Mund durch die Menge. Nachdem er ein paar Zettel
geordnet und sich dicht vor die Augen gehalten hatte, begann
er:
»Meine Herren!
Ehe ich auf den eigentlichen Zweck der heutigen Versammlung
eingehe, sei es mir zunächst gestattet, – und ich bin überzeugt,
Sie sind insgesamt damit einverstanden! – sei es mir gestattet,
sage ich, der Behörden und der Regierung
zu gedenken, vor allem, meine Herren, Seiner Majestät, unsers
allergnädigsten und allverehrten Landesherrn, dem jedes Gebiet der
öffentlichen und privaten Wohlfahrt am Herzen liegt, der mit
sicherer und kluger Hand das Staatsschiff durch die unaufhörlichen
Gefahren eines stürmischen Ozeans lenkt und dabei jedem sein Recht
läßt, dem Frieden wie dem Kriege, der Industrie, dem Handel, der
Landwirtschaft, den Künsten und Wissenschaften….«
»Vielleicht setze ich mich ein wenig weiter zurück«, sagte
Rudolf.
»Warum?« fragte Emma.
In diesem Augenblicke bekam die Stimme des Regierungsrates
besonderen Schwung. Er deklamierte:
»Die Zeiten sind vorüber, meine Herren, wo die Zwietracht der
Bürger unsre öffentlichen Plätze mit Blut besudelte, wo der
Grundbesitzer, der Kaufmann, ja selbst der Arbeiter, wenn er abends
friedlich schlafen ging, befürchten mußte, durch das Stürmen der
Brandglocken jäh wieder aufgeschreckt zu werden, wo Umsturzideen
frech an den Grundfesten rüttelten….«
»Nur weil man mich von unten bemerken könnte«, gab Rudolf zur
Antwort. »Dann müßte ich mich vierzehn Tage lang entschuldigen. Und
bei meinem schlechten Rufe …«
»Sie verleumden sich«, warf Emma ein.
»I wo! Der ist unter aller Kritik! Das schwör ich Ihnen.«
»Meine Herren!« fuhr der Redner fort. »Wenn wir unsre Blicke von
diesen düstern Bildern der Vergangenheit abwenden und auf den
gegenwärtigen Zustand unsers schönen Vaterlandes richten: was sehen
wir da? Überall stehen Handel, Wissenschaften und Künste in Blüte,
überall erwachsen neue Verkehrswege und -mittel, gleichsam wie neue
Adern im Leibe des Staates, und schaffen neue Beziehungen, neues
Leben. Unsre großen Industriezentren sind von neuem in vollster
Tätigkeit. Die Religion ist gekräftigt und
wärmt wieder aller Herzen. Unsre Häfen strotzen, der Staatskredit
ist fest. Frankreich atmet endlich wieder auf….«
»Das heißt,« sagte Rudolf, »vom gesellschaftlichen Standpunkt
hat man vielleicht recht.«
»Wie meinen Sie das?« fragte sie.
»Wissen Sie denn nicht,« erläuterte er, »daß es problematische
Naturen gibt? Halb Träumer, halb Tatenmenschen? Heute leben sie den
hehrsten Idealen und morgen den wildesten Genüssen. Nichts ist
ihnen zu toll, zu phantastisch….«
Sie blickte
Weitere Kostenlose Bücher