Madame Bovary
warten, denn Karl hatte die Angewohnheit, am
Kamine zu sitzen und ins Endlose hinein zu plaudern. Emma verging
beinahe vor Ungeduld und wünschte ihren Mann wer weiß wohin.
Schließlich begann sie ihre Nachttoilette zu machen; dann nahm sie
ein Buch zur Hand und tat so, als sei das Buch über alle Maßen
fesselnd. Karl ging indessen zu Bett und rief ihr zu, sie solle
auch schlafen gehn.
»Komm doch, Emma!« rief er. »Es ist schon spät!«
»Gleich! Gleich!« erwiderte sie.
Das Kerzenlicht blendete ihn. Er drehte sich gegen die Wand und
schlief ein. Sie schlüpfte hinaus, mit verhaltenem Atem, lächelnd,
zitternd, halbnackt.
Rudolf hüllte sie ganz mit hinein in seinen weiten Mantel,
schlang die Arme um sie und zog sie wortlos hinter in den Garten,
in die Laube, auf die morsche Holzbank, auf der sie dereinst so oft
mit Leo gesessen hatte. Das war an Sommerabenden gewesen. Wie
verliebt hatten seine Augen geschimmert! Aber jetzt dachte Emma
nicht mehr an ihn.
Durch die kahlen Zweige der Jasminbüsche funkelten die Sterne.
Hinter dem Paare rauschte der Bach, und hin und wieder knackte am
Ufer das vertrocknete hohe Schilf. Manchmal formte es sich im
Dunkel zu einem massigen Schatten, der mit einem Male Leben bekam,
sich emporrichtete und wieder neigte und wie ein schwarzes Ungetüm auf die beiden zuzukommen
schien, um sie zu erdrücken.
In der Kälte der Nacht wurden ihre Umarmungen um so inniger und
ihr Liebesgestammel um so inbrünstiger. Ihre Augen, die sie
gegenseitig kaum erkennen konnten, erschienen ihnen größer, und in
der Stille ringsum bekamen ihre ganz leise geflüsterten Worte einen
kristallenen Klang, drangen tief in die Seelen und zitterten in
ihnen tausendfach wider.
Wenn die Nacht regnerisch war, flüchteten sie in Karls
Sprechzimmer, das zwischen dem Wagenschuppen und dem Pferdestall
gelegen war. Emma zündete eine Küchenlampe an, die sie hinter den
Büchern bereitgestellt hatte. Rudolf machte sichs bequem, als sei
er zu Hause. Der Anblick der »Bibliothek«, des Schreibtisches, der
ganzen Einrichtung erregte seine Heiterkeit. Er konnte nicht umhin,
über Karl allerhand Witze zu machen, was Emma ungern hörte. Sie
hätte ihn viel lieber ernst sehen mögen, ihretwegen theatralischer,
wie er es einmal gewesen war, als sie in der Pappelallee das
Geräusch von näherkommenden Tritten hinter sich zu vernehmen
wähnten.
»Es kommt jemand!« sagte sie einmal.
Er blies das Licht aus.
»Hast du eine Pistole bei dir?«
»Wozu?«
»Damit du … dich … verteidigen kannst!«
»Gegen deinen Mann? Der arme Junge!« Dazu machte er eine
Gebärde, die etwa sagen sollte: »Der mag mir nur kommen!«
Dieser Mut entzückte sie, wenngleich sie die Unzartheit und
urwüchsige Roheit heraushörte und darüber entsetzt war.
Rudolf dachte viel über diese kleine Szene nach.
»Wenn das ihr Ernst war,« sagte er sich, »so war das recht
lächerlich, sogar häßlich.« Er hatte doch wahrlich keinen
Anlaß,ihren gutmütigen Mann zu hassen.
Sozusagen »von Eifersucht verzehrt«, das war er nicht. Überdies
hatte ihm Emma ihre körperliche Treue mit einem feierlichen Eid
beteuert, der ihm ziemlich abgeschmackt erschienen war. Überhaupt
fing sie an, recht sentimental zu werden. Er hatte
Miniaturbildnisse mit ihr tauschen müssen, und sie hatten sich alle
beide eine ganze Handvoll Haare für einander abgeschnitten, und
jetzt wünschte sie sich sogar einen wirklichen Ehering von ihm, zum
Zeichen ewiger Zusammengehörigkeit. Häufig schwärmte sie ihm von
den Abendglocken vor oder von den Stimmen der Natur. Oder sie
erzählte von ihrer seligen Mutter und wollte von der seinigen etwas
wissen. Rudolfs Mutter war schon zwanzig Jahre tot. Trotzdem
tröstete ihn Emma mit allerlei Koseworten der Klein-Kindersprache,
als ob es gölte, ein Wickelkind zu beruhigen. Mehr als einmal hatte
sie, zu den Sternen aufblickend, ausgerufen:
»Ich glaube fest, da droben, unsre beiden Mütter segnen unsre
Liebe!«
Aber sie war so hübsch! Und eine so unverdorbene Frau hatte er
noch nie besessen. Solch eine Liebschaft ohne Unzüchtigkeiten war
ihm, der das Verdorbenste kannte, etwas ganz Neues, das seinen
Mannesstolz und seine Sinnlichkeit verführerisch umschmeichelte.
Selbst Emmas Überschwenglichkeiten, so zuwider sie einem
Naturmenschen wie ihm waren, fand er bei näherer Betrachtung
reizend, da sie doch ihm galten. Aber weil er so sicher war, daß er
geliebt wurde, ließ er sich gehen, und allmählich änderte sich
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