Madame Bovary
da
habe ich mir den Gaul zurückstellen lassen … nein, gleich gekauft….
Ists dir recht? Sag mal!«
Sie nickte bejahend mit dem Kopfe.
Eine Viertelstunde später fragte sie:
»Gehst du heute abend aus?«
»Ja. Warum denn?«
»Ach, ich wollt es bloß wissen, Bester!«
Sobald sie von Karl befreit war, ging sie in ihr Zimmer hinauf
und schloß sich ein.
Sie war zunächst noch wie unter einem Banne. Sie sah im Geist
die Bäume, die Wege, die Gräben, den Geliebten und fühlte seine
Umarmung. Das Laub wisperte um sie herum, und das Schilf rauschte.
Dann aber erblickte sie sich im Spiegel. Sie staunte über ihr
Aussehen. So große schwarze Augen hatte sie noch nie gehabt! Und
wie tief sie lagen! Etwas Unsagbares umfloß ihre Gestalt. Sie kam
sich wie verklärt vor.
Immer wieder sagte sie sich: »Ich habe einen Geliebten! Einen
Geliebten!«
Der Gedanke entzückte sie. Es war ihr, als sei sie jetzt erst
Weib geworden. Endlich waren die Liebesfreuden auch für sie da, die
fiebernde Glückseligkeit, auf die sie bereits keine Hoffnung
mehr gehabt hatte! Sie war in eine
Wunderwelt eingetreten, in der alles Leidenschaft, Verzückung und
Rausch war. Blaue Unermeßlichkeit breitete sich rings um sie her,
vor ihrer Phantasie glänzte das Hochland der Gefühle, und fern,
tief unten, im Dunkel, weit weg von diesen Höhen, lag der
Alltag.
Sie erinnerte sich an allerlei Romanheldinnen, und diese Schar
empfindsamer Ehebrecherinnen sangen in ihrem Gedächtnisse mit den
Stimmen der Klosterschwestern. Entzückende Klänge! Jene
Phantasiegeschöpfe gewannen Leben in ihr; der lange Traum ihrer
Mädchenzeit ward zur Wirklichkeit. Nun war sie selber eine der
amoureusen Frauen, die sie so sehr beneidet hatte! Dazu das Gefühl
befriedigter Rache! Hatte sie nicht genug gelitten? Jetzt
triumphierte sie, und ihre so lange unterdrückte Sinnlichkeit
wallte nun auf und schäumte lebensfreudig über. Sie genoß ihre
Liebe ohne Gewissenskämpfe, ohne Nervosität, ohne Wirrungen.
Der Tag darauf verging in neuem süßen Glück. Sie schworen sich
ewige Treue. Emma erzählte ihm von ihren Leiden und Trübsalen. Er
unterbrach sie mit Küssen. Sie sah ihn mit halbgeschlossenen Augen
an und bat ihn immer wieder, sie bei ihrem Vornamen zu nennen und
ihr noch einmal zu sagen, daß er sie liebe. Es war wiederum im
Walde, in einer verlassenen Holzschuhmacherhütte. Die Wände waren
von Strohmatten und das Dach so niedrig, daß man drin nicht
aufrecht stehen konnte. Sie saßen dicht beieinander auf einer Streu
von trocknem Laub.
Von diesem Tag an schrieben sie sich beide regelmäßig alle
Abende. Emma trug ihren Brief hinter in den Garten, wo sie ihn
unter einen lockeren Stein der kleinen Treppe, die zum Bach führte,
verbarg. Dort holte ihn Rudolf ab und legte einen von sich hin.
Seine Briefe waren sehr kurz, worüber sie sich alle Tage
beklagte.
Eines Morgens, da Karl bereits vor
Sonnenaufgang fortgegangen war, geriet sie plötzlich auf den
Einfall, unverweilt Rudolf sehen zu wollen. Ehe die Yonviller
aufständen, konnte sie nach der Hüchette gehen, eine Stunde dort
verweilen und wieder zurückkommen. Dieser Plan ließ sie gar nicht
recht zur Besinnung kommen. Ein paar Augenblicke später war sie
schon mitten in den Wiesen. Ohne sich umzublicken, schritt sie
eilig ihres Wegs.
Der Tag begann zu grauen. Schon von weitem erkannte sie das Gut
des Geliebten. Der Schwalbenschwanz der Wetterfahne auf dem
höchsten Giebel zeichnete sich schwarz vom fahlen Himmel ab.
Über den Hof weg stand ein großes Gebäude. Das mußte das
Herrenhaus sein. Dort trat sie ein. Es war ihr, als öffnete sich
ihr alles von selbst. Eine breite Treppe führte auf einen Gang.
Emma drückte auf die Klinke einer Tür, und da erblickte sie im
Hintergrunde dieses Zimmers einen Mann im Bett. Es war Rudolf. Sie
frohlockte laut.
»Du? Du!« rief er aus. »Wie hast du das fertig gebrach? Dein
Kleid ist feucht….«
»Ich liebe dich!« war ihre Antwort, indem sie ihm die Arme um
den Hals schlang.
Nachdem ihr dieses Wagnis beim ersten Male geglückt war,
Kleidete sich Emma jedesmal, wenn Karl frühzeitig fort mußte, rasch
an und schlich sich wie ein Wiesel durch die hintere Gartenpforte,
auf dem Treppchen, das hinunter nach dem Bache führte, aus dem
Hause. Aber wenn die Planke, die als Steg über das Wasser diente,
zufällig weggenommen war, mußte sie ein Stück bis zum nächsten Steg
an den Gartenmauern längs des Baches hingehen. Die bewachsene
Böschung war steil und
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