Madame Bovary
hell aufwieherten, wenn man in ihre Nähe kam, und
dann weggaloppierten. Diese drolligen Galoppsprünge! Im Vaterhause,
unter ihrem Fenster, da stand ein Bienenkorb, und manchmal waren
die Bienen, wenn sie in der Sonne ausschwärmten, gegen die Scheiben
geflogen wie fliegende Goldkugeln. Das war doch eigentlich eine
glückliche Zeit gewesen! Voller Freiheit! Voller Erwartung und
voller Illusionen! Nun waren sie alle zerronnen! Bei dem, was sie
erlebt, hatte sie ihre Seele verbraucht, in allen den verschiedenen
Abschnitten ihres Daseins, als junges Mädchen, dann als Gattin,
zuletzt als Geliebte. Sie hatte von ihrer Seele verloren in einem
fort, wie jemand, der auf einer Reise in jedem Gasthause immer ein
Stück von seinen Habseligkeiten liegen läßt.
Aber warum war sie denn so unglücklich? Was war Bedeutsames
geschehen, daß sie mit einem Male aus allen Himmeln gestürzt war?
Sie erhob sich und blickte um sich, gleichsam als suche sie den
Anlaß ihres Herzeleids.
Ein Strahl der Aprilsonne glitzerte auf dem Porzellan des
Wandbrettes. Im Kamin war Feuer. Durch ihre Hausschuhe hindurch
spürte sie den weichen Teppich. Es war ein heller Frühlingstag, und
die Luft war lau.
Da hörte sie, wie ihr Kind draußen laut aufjauchzte.
Die kleine Berta rutschte im Grase herum. Das
Kindermädchen wollte sie am Kleide wieder
in die Höhe ziehen. Lestiboudois war dabei, den Rasen zu scheren.
Jedesmal, wenn er in die Nähe des Kindes kam, streckte es ihm beide
Ärmchen entgegen.
»Bring sie mir mal herein!« rief sie dem Mädchen zu und riß ihr
Töchterchen hastig an sich, um es zu küssen. »Wie ich dich liebe,
mein armes Kind! Wie ich dich liebe!«
Als sie bemerkte, daß es am Ohre etwas schmutzig war, klingelte
sie rasch und ließ sich warmes Wasser bringen. Sie wusch die
Kleine, zog ihr frische Wäsche und reine Strümpfe an. Dabei tat sie
tausend Fragen, wie es mit der Gesundheit der Kleinen stehe, just
als sei sie von einer Reise zurückgekehrt. Schließlich küßte sie
sie noch einmal und gab sie tränenden Auges dem Mädchen wieder.
Felicie war ganz verdutzt über diesen Zärtlichkeitsanfall der
Mutter.
Am Abend fand Rudolf, Emma sei nachdenklicher denn sonst.
»Eine vorübergehende Laune!« tröstete er sich.
Dreimal hintereinander versäumte er das Stelldichein. Als er
wieder erschien, behandelte sie ihn kühl, fast geringschätzig.
»Schade um die Zeit, mein Liebchen!« meinte er. Und er tat so,
als merke er weder ihre sentimentalen Seufzer noch das Taschenruch,
das sie herauszog.
Jetzt kam wirklich die Reue über sie. Sie fragte sich, aus
welchem Grunde sie eigentlich ihren Mann hasse und ob es nicht
besser gewesen wäre, wenn sie ihm treu hätte bleiben können. Aber
Karl bot ihr keine besondere Gelegenheit, ihm ihren Gefühlswandel
zu offenbaren. Wenn der Apotheker nicht zufällig eine solche
heraufbeschworen hätte, wäre alle ihre hingebungsvolle Anwandlung
tatenlos geblieben.
Kapitel 11
Homais hatte letzthin die Lobpreisung einer neuen Methode,
Klumpfüße zu heilen, gelesen, und als Fortschrittler, der er war,
verfiel er sofort auf die partikularistische Idee, auch in Yonville
müsse es strephopodische Operationen geben, damit es auf der Höhe
der Kultur bleibe.
»Was ist denn dabei zu riskieren?« fragte er Frau Bovary. Er
zählte ihr die Vorteile eines solchen Versuches an den Fingern auf.
Erfolg so gut wie sicher. Wiederherstellung des Kranken. Befreiung
von einem Schönheitsfehler. Bedeutende Reklame für den Operateur.
»Warum soll Ihr Herr Gemahl nicht beispielsweise den armen Hippolyt
vom Goldnen Löwen kurieren? Bedenken Sie, daß er seine Heilung
allen Reisenden erzählen würde. Und dann….« Der Apotheker begann zu
flüstern und blickte scheu um sich, »… was sollte mich daran
hindern, eine kleine Notiz darüber in die Zeitung zu bringen? Du
mein Gott! So ein Artikel wird überall gelesen … man spricht davon
… schließlich weiß es die ganze Welt. Aus Schneeflocken werden am
Ende Lawinen! Und wer weiß? Wer weiß?«
Warum nicht? Bovary konnte in der Tat Erfolg haben. Emma hatte
gar keinen Anlaß, Karls chirurgische Geschicklichkeit zu
bezweifeln, und was für eine Befriedigung wäre es für sie, die
geistige Urheberin eines Entschlusses zu sein, der sein Ansehen und
seine Einnahmen steigern mußte. Sie verlangte mehr als bloß die
Liebe dieses Mannes.
Vom Apotheker und von seiner Frau bestürmt, ließ sich Karl
überreden. Er bestellte sich in Rouen das Werk des Doktors
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