Madame Hemingway - Roman
eine schlechte Lügnerin gewesen.
»Wie wäre es stattdessen mit einem neuen Hut?«, fragte sie und zeigte auf ein hoch aufragendes gefiedertes Ungetüm, unter dem ich mir mich in tausend Jahren nicht vorstellen konnte.
Als wir am Spätnachmittag in die Wohnung zurückkehrten, war sie erneut voller Leute. Kenley und Bill Horne (Horney) versuchten, eine Runde zum Kartenspielen zusammenzutrommeln. Ein Typ namens Brummy spielte einen Ragtime auf dem Klavier, und Ernest und ein Kollege namens Don Wright umkreisten sich auf dem Teppich in einem spontanen Boxwettkampf. Ihre Oberkörper waren nackt, und sie hüpften und tänzelten mit erhobenen Fäusten, während ein paar Leute um sie herumstanden und sie anfeuerten. Alle lachten, und es sah nach einem großen Spaß aus, bis Ernest mit einem rechten Haken kräftig zuschlug. Don konnte zwar ausweichen und bekam kaum etwas ab, und der restliche Kampf verlief recht freundlich, doch ich hatte Ernests mörderischen Blick beim Angriff gesehen, und mir wurde klar, dass es für ihn eine ernste Angelegenheit war. Er wollte gewinnen. Kate schien das Boxen ebenso kalt zu lassen wie alles andere, das in der Wohnung vor sich ging. Anscheinend verliefen die Abende in diesem Taubenschlag der guten Laune immer so ausgelassen. Seit fast einem Jahr gab es nun schon die Prohibition, und infolge dieses »ehrenhaften Experiments« waren beinaheüber Nacht in allen Städten Flüsterkneipen entstanden; allein in Chicago gab es Tausende. Doch wer brauchte noch eine Flüsterkneipe, wenn Kenley, wie so viele findige junge Männer, genügend Schnaps gelagert hatte, um eine Elefantenherde darin einzulegen? An diesem Abend standen zahllose offene Flaschen in der Küche, also schenkten Kate und ich uns großzügig nach. Als die Abenddämmerung den Raum in ein sanftes violettes Licht tauchte, fand ich mich auf dem Sofa eingequetscht zwischen Ernest und Horney wieder, die sich über mich hinweg in einer Geheimsprache unterhielten. Ich verfiel immer wieder in unkontrolliertes Kichern – wie lange war es schon her, dass ich das letzte Mal gekichert hatte? In diesem Augenblick war es überraschend und berauschend einfach.
Schließlich stand Horney auf und begab sich mit Kate auf die improvisierte Tanzfläche, und Ernest wandte sich mir zu und sagte: »Ich habe den ganzen Tag darüber nachgedacht, wie ich dich etwas Bestimmtes fragen soll.«
»Wirklich?« Ich wusste nicht, ob ich verblüfft war oder mich eher geschmeichelt fühlte.
Er nickte. »Würdest du etwas von mir lesen? Es ist noch keine fertige Story, eher eine Art Skizze.« Er blickte nervös drein und ich hätte beinahe gelacht vor Erleichterung. Ernest Hemingway war aufgeregt, und ich selbst war es auf einmal nicht mehr. Kein bisschen.
»Na klar«, versicherte ich. »Ich bin allerdings keine Literaturkritikerin. Ich weiß nicht, ob ich dir helfen kann.«
»Kein Problem. Ich würde nur gern wissen, was du davon hältst.«
»Also gut. Gern«, erwiderte ich.
»Ich bin gleich wieder zurück«, sagte er und hatte mit einem Satz den halben Raum durchquert, bevor er sich noch einmal umdrehte. »Geh nicht weg, ja?«
»Wohin sollte ich denn gehen?«
»Du wärst überrascht«, gab er rätselhaft zurück und eilte dann davon, um die Seiten zu holen.
Er hatte recht, es war im Grunde keine Story. Es war eine Skizze voll schwarzen Humors, die den Titel
Wolves and Donuts
trug und in einem italienischen Lokal auf der Wabash Avenue spielte. Auch wenn das Stück unvollendet war, war es scharfsinnig und urkomisch geschrieben. Wir waren in die Küche gegangen, wo es heller und ruhiger war, und während ich las, lief Ernest durch das Zimmer, schwang seine Arme hin und her und wartete, dass ich die Frage beantwortete, die er nicht zu stellen wagte:
Ist es gut?
Als ich das letzte Blatt umgedreht hatte, saß er mir auf einem Stuhl gegenüber und blickte mich erwartungsvoll an.
Ich schaute ihm in die Augen und sagte: »Du bist äußerst talentiert. Ich habe wahrscheinlich zu viel Zeit mit Henry James verschwendet. Du schreibst nicht wie er.«
»Nein.«
»Ich weiß nicht, ob ich alles richtig verstehe, aber ich kann sehen, dass du wahrhaftig ein Schriftsteller bist. Was auch immer man dazu benötigt, du hast es.«
»O Gott, es tut gut, das zu hören. Manchmal denke ich, dass ich nur irgendjemanden brauche, der mir sagt, dass ich nicht nur mit meinem dämlichen Kopf gegen eine Wand renne. Sondern dass ich tatsächlich eine Chance habe.«
»Die hast
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