Madonna
pergamentartig machte. Die Krankheit war schuld daran, dass sich die Adern dick und bläulich an ihrem Hals und auch auf ihren Handrücken abzeichneten. Und die Krankheit sorgte dafür, dass das weiße Haar der Frau stumpf und glanzlos wirkte. Und schütter vor kaltem Schweiß.
Eine flache Schüssel stand auf dem Boden neben Brunhilds Bett, bereit, sofort zum Einsatz zu kommen, sollte die Kranke sich wieder übergeben müssen.
Hiltrud stieß die beiden Fensterläden weit auf, dann drehte sie sich um und bemerkte, dass Katharina einen Blick in die Schüssel warf. »In den letzten Stunden ist außer bräunlich-schmierigem Schaum kaum noch etwas gekommen«, sagte sie leise. Der kalte Nachtwind wehte die Vorhänge ins Zimmer. Katharina fröstelte in ihrem dünnen Nachthemd. Von draußen drangen die Geräusche der Nacht herein, das ferne Schlagen einer Glocke, Schritte in den nächtlichen Gassen. Eine Stimme, die nach jemandem namens Johannes rief. Zwei Katzen, die sich in einem Hinterhof lautstark fauchend bekämpften.
All diese Geräusche bedrückten Katharina. Es kam ihr vor, als sei das Leben draußen vor den Mauern ihres Hauses geblieben, während sich hier drinnen der Tod mit seiner stillen, gleichgültigen Art breitgemacht hatte. Sie ertappte sich dabei, dass sie sich in der Kammer umsah, doch sie konnte seine hagere schwarze Gestalt nirgendwo stehen sehen.
Die Haare im Genick richteten sich ihr auf, und unwillkürlich rieb sie sich mit einer Hand den Nacken, während sie mit der anderen vorsichtig nach Brunhilds Fingern griff. Erschrocken ließ sie den Arm sinken. Brunhilds Haut war heiß. Heiß und fiebertrocken. Der Atem der kranken Frau ging regelmäßig, aber es gab große Pausen vor jedem Einatmen, die Katharina Sorgen machten. Sie legte Brunhild die Hand auf die Stirn. Schweiß netzte ihre Fingerspitzen. Sie hatte sich nicht getäuscht. Das Fieber war zurück. »Hast du ihr von der Brühe zu trinken gegeben?«, fragte sie, ohne Brunhild aus den Augen zu lassen.
»Ja.« Hiltrud stand noch immer an dem geöffneten Fenster. Sie wirkte froh über jeden Hauch frischer Luft, und Katharina konnte ihr das nicht verdenken. Hiltrud hatte große Teile des vergangenen Tages hier in dieser Kammer gesessen und Wache gehalten, genau, wie es in diesem Haus üblich war. Hier kümmerten die weniger Kranken sichum die Schwerkranken, und dafür konnten sie hoffen, später selbst einmal Hilfe zu erhalten, wenn es ihnen schlechtgehen sollte.
Nun wandte Katharina den Kopf und sah Hiltrud fragend an.
Die zuckte die Achseln. »Sie hat alles wieder von sich gegeben.«
Katharina nickte langsam. Das hatte sie befürchtet. Sie konnte nur Vermutungen anstellen, worunter Brunhild litt, und all ihr Können, all das medizinische Wissen, das sie von ihrem verstorbenen Mann gelernt hatte, halfen in diesem Fall nicht weiter. Auch wenn sie ihn nicht sehen konnte: Katharina wusste, dass der Tod bereits hier bei ihnen im Zimmer weilte. Sie würde ihn nur noch Stunden in Schach halten können.
Sie schluckte schwer und wandte sich wieder der dahinsiechenden Frau zu. »Brunhild?«
Sie erwartete nicht, eine Antwort zu bekommen, doch zu ihrer Überraschung öffnete Brunhild die Augen. Ihr Blick war erstaunlich klar. »Warum hast du geschrien?« Sie sprach so leise, dass Katharina glaubte, sie müsse sich verhört haben.
»Was meinst du?«, rutschte es ihr heraus.
Brunhilds trockene Lippen verzogen sich zu einem schwachen Lächeln. »Du musst mir nichts vormachen«, sagte sie. »Ich mag im Sterben liegen, aber ich bin nicht taub! Eben, kurz bevor ich Hiltrud gebeten habe, dich zu holen, hast du geschrien.«
Hinter Katharinas Rücken machte Hiltrud ein undefinierbares Geräusch. Katharina vermutete, dass sie in diesem Moment erst begriffen hatte, warum sie tatsächlich zu Katharina geschickt worden war: nicht, um sie zur Hilfe zu holen, sondern um die nächtlichen Alpträume zu verjagen.
Katharina spürte, wie ihr angesichts der Zuneigung, die diese todkranke Frau für sie empfand, die Kehle eng wurde. »Du musst dich nicht um mich sorgen«, murmelte sie.
»Du hast wieder schlecht geträumt, nicht wahr?« Brunhild tastete auf der Bettdecke nach Katharinas Hand. Katharina kam ihr entgegen, und mit erstaunlicher Kraft klammerten sich die heißen Finger Brunhilds um ihre eigenen. Katharina kannte die Zeichen. Oftmals durchlebte ein dem Tode geweihter Patient, kurz bevor es zu Ende ging, noch einmal eine Phase der vorgeblichen Besserung. Bei
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