Madonna
zwar alle Fragen dem Stadtrichter und diesem Trottel von neuem Lochschöffen schon mehr als ein Dutzend Mal beantwortet, aber fragt! Ich bin für jede Abwechslungdankbar. Das Leben ist doch ein wenig eintönig hier oben.« Er schwang langsam die Beine vom Bett und stellte die Füße auf die Erde. Er war barfuß. Seine Bewegungen wirkten bedächtig, so als quälten ihn große Schmerzen. Was angesichts der schweren Verletzung, die Donatus’ Dolch ihm zugefügt hatte, nicht eben verwunderlich war.
»Wie geht es Euch?«, fragte Richard.
Spindler griff sich in den Schritt, nahm jedoch die Hand sofort wieder weg. »Meine Wunden schmerzen, aber das ist gut so. Die Ärzte, die die Stadt bezahlt hat, um mich zu behandeln, haben gute Arbeit geleistet.« Ein verträumter Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. »Ich habe jetzt endlich Ruhe vor dieser sündhaften Lust.« Sanft schüttelte er den Kopf. »Dass ich auf diese Lösung nicht selbst gekommen bin!« Er schien darüber ehrlich erstaunt zu sein. »Wie geht es Donatus?«
Arnulf zuckte die Achseln. »Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, saß er im Lochgefängnis. Er gibt offen zu, bei den Morden Euer Komplize gewesen zu sein, und wie es aussieht, werden sie ihm wohl den Prozess machen.«
Spindler rümpfte die Nase. »Dieser arme Teufel!«
»Wir haben Dr. Schedel gebeten, ihm einen guten Juristen zur Seite zu stellen«, erklärte Richard. »Wenn er Glück hat, kommt er mit einem Brandmal und der Verbannung davon. Immerhin hat er völlig unter Eurer Fuchtel gestanden.«
Wieder kicherte Spindler. »Ja. Erstaunlich, nicht wahr? Sie haben immer alle gemacht, was ich gesagt habe. Donatus. Mechthild. Sogar Katharina.« Er hielt inne, dachte nach. »Hm. Nun, sie hat sich wenigstens bemüht.«
Richard verspürte das Bedürfnis, seine Hände um Spindlers Hals zu legen und zuzudrücken. Stattdessen klammerte er die Rechte um seinen Schwertgriff und zwang sich, still stehenzubleiben.
»Ich habe diese Fähigkeit, Einfluss auf die Menschen zu nehmen, immer für ein Zeichen Gottes gehalten. Dafür, dass er mir den Heiligen Geist geschickt hat.«
»Donatus ist nie darauf gekommen, dass Ihr Euch an den Scholaren vergangen haben könntet?«, fragte Arnulf.
Spindler schüttelte den Kopf. »Nie! Ich glaube, das Vertrauen, das er in mich setzte, hat ihn blind gemacht.«
»Ihr habt ihm mit der Verdammnis gedroht«, sagte Richard. Am liebsten wäre er gegen das Eisengitter gesprungen wie ein beißwütiger Hund. »So wie Tobias und all Euren anderen Opfern.«
Doch zu seinem Erstaunen verneinte Spindler dies. »Es ist in den allermeisten Fällen nicht nötig, die Menschen daran zu erinnern, dass sie verdammt sind. Oft sind sie viel leichter zu lenken, wenn man ihnen von der göttlichen Gnade erzählt. So wie Katharina.« Ein Schatten flog über sein Gesicht.
Richard lockerte den Griff um sein Schwert. Plötzlich widerte Spindler ihn nur noch an.
»Wollt Ihr gar nicht wissen, wie es ihr geht?« Arnulf hielt noch immer die Gitterstangen umfasst. Die Sehnen auf seinen Handrücken waren deutlich zu sehen.
Spindler zuckte die Achseln. »Sie ist nicht mehr wichtig.«
Richard schloss die Augen, kurz nur, doch Arnulf bemerkte es. Die Lippen des Nachtraben waren schmal, als er wieder anhob. »Erzählt uns die ganze Geschichte!«
»Die Geschichte.« Spindler stand von seinem Bett auf, blieb davor stehen. Zwischen ihm und den Gitterstäben lagen kaum zwei Schritte Abstand, und trotzdem fühlte Richard sich diesem Mann auf der anderen Seite der Eisenstäbe so fern, als läge ein ganzes Meer zwischen ihnen. »Die Geschichte, wie ich zum Mörder wurde. Nun, es begann im Grunde durch einen dummen Zufall oder eine glückliche Fügung Gottes, wie man es auch nennen mag. Ich war auf dem Weg zu Katharina und verpasste sie kurz vor dem Fischerhaus, weil sie auf den Markt ging. Gut vier Wochen ist es nun her. Ich folgte ihr in einigem Abstand, und dabei sah ich den Kerl.« Er hielt inne, atmete ein paarmal schwer durch. »Ein finsterer Kerl, gutaussehend, teuer gekleidet, mit einem schweren Umhang mit roter Kordel. Aber da war dieses gierige Glitzern in seinen Augen. Ich sah es, als er Katharina ansprach, weil ein Fuhrwerk ihnen beiden den Weg versperrte. Er war auf der Jagd. Ein Raubtier, das sich in diesem Moment sein Opfer ausgesucht hatte. Das konnte ich nicht zulassen.«
Richard schluckte. »Weil Ihr ihre Tugend beschützen wolltet.«
»Eine Tugend, die sie damals schon längst verloren
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