Mädchen im Moor
auf einer Woge von Glückseligkeit.
Wasser! Regen! Mein Gott, jeder Tropfen geht in mein Blut –
So lag sie und lächelte, wurde schwächer und schwächer und fühlte sich immer leichter und fröhlicher und voll jubelnder Hoffnung.
Am fünften Tage wurde die Suche abgebrochen.
Dr. Schmidt und die Polizeioffiziere hielten in Gegenwart von Ministerialdirektor Dr. Fugger und Holger v. Rothen den letzten Vortrag. Sogar der Minister war erschienen, in aller Stille, ohne Aufsehen. Er saß neben v. Rothen und bemühte sich, den gebrochenen Vater durch sinnige Sprüche über das Rätselhafte des menschlichen Schicksals aufzurichten.
»Es gibt nun gar keinen Zweifel mehr, daß Vivian im Moor umgekommen ist, trotz ihrer Karte. Sie muß sich verirrt haben, und was das gerade im Wildmoor bedeutet, wissen wir. Das Wildmoor ist ein Gebiet in Deutschland, das zu den seltenen, noch nicht voll erschlossenen Gegenden gehört. Man hat es zwar kartographisch vermessen, aus der Luft zum Teil, aber noch nicht ganz durchforscht. Wie auch, meine Herren?« Dr. Schmidt wandte sich an die Polizeioffiziere. »Die Polizei hat getan, was sie konnte – aber gegen das Moor ist alle Suchtechnik machtlos. Wir müssen also mit dem Schlimmsten rechnen. Es sind nun fünf Tage herum. Jetzt noch Hoffnung zu haben, wäre eine billige Illusion.«
v. Rothen nickte. »Ich danke Ihnen allen«, sagte er mit belegter Stimme. »Es heißt, sich damit abzufinden. Und das wird allein meine Sache sein.«
Der Minister nickte. »Meine Herren, wie ziehen die Leute ein.«
Nachdem die Polizeioffiziere gegangen waren, wandte sich Dr. Schmidt an den Minister. »Welche Auswirkungen wird dieser Fall auf Gut Wildmoor haben?« fragte er geradeheraus.
Der Minister sah auf seine Hände. »Das wird man nachprüfen müssen. Im Augenblick bleibt alles so, wie es ist. Das war Ihr erster Ausbruch, nicht wahr?«
»Ja. Und es wird der letzte sein. Das Schicksal Vivians wird sich herumsprechen und von Mädchen zu Mädchen weitergegeben. Es wird für alle eine Abschreckung sein.«
»Dann hat Vivian doch etwas genützt«, sagte v. Rothen leise. »Bitte, meine Herren, behalten Sie meine Tochter unter diesem Aspekt in Erinnerung.«
»Wie ist die Stimmung jetzt in der Anstalt?« fragte Dr. Fugger.
»Wie Sie sich denken können: Gedrückt. Ich werde in diesem Jahr die bravsten Insassen haben … und ich hoffe, auch in den nächsten Jahren.«
Dr. Fugger und der Minister schwiegen. Erst die Abschlußberichte, dachten sie. Bisher kann man diesem Schmidt den Erfolg nicht absprechen. Von bisher siebenunddreißig Entlassungen ist noch keines der Mädchen rückfällig geworden. Die Fürsorgerinnen melden übereinstimmend, daß die Wiedereingliederung in die soziale Gemeinschaft bei allen voll geglückt ist. Sie haben anständige Berufe ergriffen, sie benehmen sich wie jeder andere brave Bürger, sie sind ›geheilt‹. Zwei wollen sogar heiraten, anständige Männer. Sie alle haben zum Leben zurückgefunden. Dem gegenüber stehen vier Fälle, in denen die Erziehung von Gut Wildmoor versagt hat, die zurückverlegt werden mußten in die normalen Gefängnisse. An der Spitze Käthe Wollop, die den Fahrer der ›Grünen Minna‹, der sie abholte, mit einem Hochheben des Rockes begrüßt hatte. Und unter dem Rock hatte sie nichts.
»Ich plädiere dafür, daß man Gut Wildmoor erhält«, sagte Holger v. Rothen. Er starrte dabei gegen die Wand und gab sich Mühe, seiner Stimme die nötige Festigkeit zu geben. »Ich weiß nicht, ob es geht … ob man staatlichen Institutionen Stiftungen machen kann. Aber im Andenken meiner Tochter wäre ich bereit, Gut Wildmoor so finanziell zu unterstützen, daß aus ihm die modernste und beste offene Jugendstrafanstalt Europas wird.«
»Ich werde diesen Plan mit der Regierung durchsprechen, Herr v. Rothen«, sagte der Minister sofort. »Es zeugt von Größe, wenn Sie jetzt noch menschenfreundlich denken .«
Wir werden eine gute Wahlhilfe damit haben, dachte er. In meinem Wahlkreis werde ich verkünden, daß wir im Jugendstrafvollzug an der Spitze der Kulturstaaten stehen werden. Das ist ein guter Wahlslogan. Jugend zieht immer.
Dr. Schmidt ließ Kognak herumreichen. In einer weißen Schürze servierte Hilde Marchinski die Gläser. Keiner sah ihr an, daß sie Insassin von Wildmoor war und das verderbteste Luder, das je hier eingesessen hatte. Vor allem der Minister wußte es nicht. Er nahm sein Glas vom Tablett und blinzelte der roten Schönheit zu.
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