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Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten

Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten

Titel: Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Muriel Spark
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suchten sie die Geräusche auf dem Dach ängstlicher und aufmerksamer zu erfassen, als die eigentliche Bedeutung der Worte zum 27. Tag.
     
    Wo der Herr nicht das Haus baut, so arbeiten
    umsonst, die daran bauen. Wo der Herr nicht
    die Stadt behütet, so wacht der Wächter umsonst.
    Es ist umsonst, daß ihr früh aufsteht und hernach
    lange sitzet und esset euer Brot mit Sorgen;
    denn seinen Freunden gibt er’s schlafend.
    Siehe, Kinder …
     
    Auch die Liturgie für einen anderen Tag würde ähnlich hypnotisch gewirkt haben. Aber es gehörte zu Joannas Gewohnheiten, die richtigen Worte für den jeweiligen Tag zu finden. Unter dumpfem Dröhnen und einem Schauer von Mörtelstaub und Ziegelbrocken brach die Dachluke auf. Mitten im weißem Staub senkte sich die Feuerleiter herab. Als erste war Dorothy Markham oben, die schwatzhafte Debütantin, deren heiteres Leben in den letzten dreiundvierzig Minuten in einer verwirrenden Dunkelheit versunken war, etwa wie die Festbeleuchtung eines Seebades, wenn der Strom ausfällt. Sie sah hager aus und auf merkwürdige Weise ihrer Tante, Lady Julia, der Vorsitzenden des Clubkomitees, ähnlich, die zu der Zeit in Bath war und in aller Unschuld Päckchen für Flüchtlinge verschnürte. Lady Julias Haar war weiß, und ebenso weiß von dem herabrieselnden Mörtelstaub war nun das Haar ihrer Nichte Dorothy, als sie jetzt die Feuerleiter zu den rutschenden Ziegeln hinaufstieg und man ihr auf das sichere Flachdach half. Ihr folgte auf den Fersen Nancy Riddle, die Tochter des pietistischen Pfarrers aus den Midlands, deren Aussprache sich in Joannas Unterricht schon erheblich gebessert hatte. Nun waren ihre Deklamationstage vorbei, und sie würde fortan immer mit einem Midlands-Akzent sprechen. Als sie sich hinter Dorothy auf die Leiter hinaufschwang, wirkten ihre Hüften geradezu bedrohlich breit, was bislang niemandem so sehr aufgefallen war. Gleich danach versuchten drei Mädchen auf einmal, ihr zu folgen. Sie waren Insassen eines Vierbett-Schlafraums im dritten Stock gewesen und alle erst kürzlich aus dem Heer entlassen worden. Alle drei hatten das kräftige und stramme Aussehen, das fünf Jahre beim Militär einer Frau zu verleihen imstande sind. Während sie noch überlegten, wer zuerst gehen sollte, griff Jane nach der Leiter und war oben. Die drei Ex-Kriegerinnen folgten.
    Joanna war vom Toilettensitz heruntergesprungen. Leicht schwankend bewegte sie sich im Kreise, wie ein Kreisel in seinen letzten Drehungen. Ihre Augen schweiften bestürzt von der Dachluke zum Fenster. Ihre Lippen und ihre Zunge fuhren wie unter Zwang fort, die Litanei des Tages zu rezitieren, aber ihre Stimme war schwächer geworden und wurde immer wieder von Husten unterbrochen. Die Luft war immer noch voll von Mörtelstaub und Rauch. Außer ihr waren noch drei Mädchen übrig. Joanna faßte nach der Leiter und verfehlte sie. Dann bückte sie sich nach dem Zentimetermaß, das auf dem Boden lag. Sie tastete danach, als sei sie halbblind, immer noch psalmodierend:
     
     … und die vorübergehen nicht sprechen: «Der
    Segen des Herrn sei über euch! wir segnen euch
    im Namen des Herrn!»
    Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir.
     
    Die anderen drei ergriffen die Leiter, eine von ihnen, ein überraschend schlankes Mädchen namens Pippa, deren unauffällige, aber offenbar kräftige Knochen ihr nicht erlaubt hatten, durch das Fenster zu entkommen, rief zurück: «Joanna, mach, daß du heraufkommst!»
    «Joanna, die Leiter.»
    Und durch das Fenster rief auch Nicholas: «Joanna, steig die Leiter herauf.»
    Sie kam wieder zu sich und drängte hinter den beiden letzten Mädchen vorwärts – einer braunhäutigen, sehnigen Schwimmerin und einer wollüstigen Exilgriechin von edler Abkunft, die beide vor Erleichterung weinten. Joanna kletterte sofort hinter ihnen her und ihre Hand griff nach der Sprosse, die der Fuß des Mädchens vor ihr gerade verlassen hatte. In diesem Augenblick erzitterten Haus, Toilette und Leiter. Das Feuer war gelöscht, aber die Arbeit an der Dachluke hatte dem ausgehöhlten Gebäude den Rest gegeben. Als Joanna auf halbem Wege nach oben war, ertönte ein Pfeifsignal. Eine Stimme gab durch den Lautsprecher den Männern den Befehl, abzuspringen. Der letzte Feuerwehrmann wartete noch an der Dachluke darauf, daß Joanna herauskommen würde – da brach das Haus zusammen. Als das schräge Dach sich nach innen zu wölben begann, sprang er ab und landete schlecht und schmerzhaft auf dem flachen Dach.

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