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Mädchen! - wie sie selbstbewusst und glücklich werden

Mädchen! - wie sie selbstbewusst und glücklich werden

Titel: Mädchen! - wie sie selbstbewusst und glücklich werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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macht eine Pause und atmet tief ein.
    â€“Hast du nicht das Gefühl, dass auch dich ein Teil der Schuld trifft?
    Es herrscht eine angespannte Stille, die Frage wühlt Marielle auf, und auch wenn man es nicht sieht, so arbeitet es doch in ihrem Kopf.
    â€“Was wollen Sie damit sagen?
    â€“Ihr seid bei Grün rübergegangen …
    â€“Ja, wir achten immer darauf, es wäre blöd, wenn wir es nicht täten.
    â€“Hättet ihr sonst noch etwas tun können?
    â€“Pause.
    â€“Wie meinen Sie das?
    Die Therapeutin schweigt. Die beiden kennen sich inzwischen sehr gut, das Gespräch hätte ohne eine gute Beziehung der beiden nicht diese Wendung nehmen können. Schließlich beginnt Marielle zu reden.
    â€“Ich weiß immer noch nicht, was Sie meinen.
    â€“Habt ihr geschaut, ob ein Auto kommt?
    â€“Das war nicht nötig, es war ja grün.
    â€“Also habt ihr nicht geschaut?
    Marielle starrt ihre Therapeutin an, ihre Augen bewegen sich nicht, aber in ihrem Kopf rattert es.
    In der darauffolgenden Woche begab sich Marielle in eine intensivere Auseinandersetzung mit dem, was das Leben ihr angetan hatte. Die Opferrolle war so einfach, sie war ein Kind, das ganz unschuldig mit seinen Freundinnen die Straße bei Grün überquerte. Sie konnten nicht davon ausgehen, dass ein Auto in die Gruppe hineinrasen würde, aber sie hatten es nicht überprüft – und eines raste in sie hinein.
    Wem konnte man die Verantwortung dafür geben? Der Fahrer war 100-prozentig verantwortlich und saß deswegen im Gefängnis. Aber Marielle wurde langsam bewusst, dass sie zu vertrauensselig gewesen war, nicht aufmerksam, zu abgelenkt, um zu überprüfen, ob sie tatsächlich in Sicherheit war. Nicht alle Autos halten bei Rot. Nicht alle Fahrer sind nüchtern und zurechnungsfähig. Sie hätte sich umsehen müssen.
    Natürlich war das Marielle teilweise bewusst, ebenso wie ihrem Umfeld, aber niemand wagte, es auszusprechen. Wer hätte es über sich gebracht, ihr angesichts dessen, was sie durchgestanden hatte, auch noch Vorwürfe zu machen. Aber ihre Therapeutin wusste, dass die Wahrheit wichtig war, und auch Marielle wusste es.
    Für kurze Zeit fiel Marielle in das andere Extrem – von »ganz unschuldig« zu »an allem schuld«. Sie quälte sich mit dem Gedanken, dass sie das Leben ihrer Freundin hätte retten können, wenn sie besser aufgepasst hätte. Aber die Therapeutin war darauf vorbereitet, und sie konnten nun auf der Grundlage des tiefen Vertrauens, das Marielle zu ihr hatte, einige sehr schwierige Gespräche führen.
    Â»Du hast dich darauf verlassen, dass Autofahrer das Richtige tun, weil sie es bisher immer getan haben. Die Ampel war grün. Das hat doch früher immer funktioniert. Aber du kannst dich eben nicht auf alle Autofahrer verlassen. Du hättest dich umsehen müssen. Aber das trifft auch auf alle anderen Mädchen an dieser Kreuzung zu. Vielleicht hätte es das Leben des getöteten Mädchens trotzdem nicht gerettet. Vielleicht aber doch.«
    Nach und nach gelang es Marielle, ihren Anteil der Verantwortung zu übernehmen, nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig.
    In einem tieferen Sinn war das eine Lektion des Erwachsenwerdens. Sie kam zur rechten Zeit. Ein Teil dieses Lernprozesses besteht darin, zu erfahren, dass die Welt voller Zufälle und Grausamkeiten ist und man gut auf sich aufpassen muss. Wer clever und hellwach ist, kann die eigene Sicherheit erhöhen.
    In den darauffolgenden Wochen wurde diese Lektion nicht nur zum Bestandteil von Marielles Denken, sondern auch ihres Körpergefühls. Ihre schrecklichen Verletzungen waren zu einem kleinen Teil auch auf ihr eigenes Verhalten zurückzuführen. Und dieses Verhalten konnte sie ändern. Sie konnte vom Opfer zur Meisterin ihres eigenen Schicksals werden. Indem sie auch nur fünf Prozent der Verantwortung übernahm, hatte sie eine zwar schmerzvolle, aber dennoch gleichzeitig stärkende Erfahrung gemacht. Autos sind gefährlich, aber noch viel gefährlicher, wenn man nicht auf sie achtgibt. Irgendwie verschwand mit dieser Einsicht auch Marielles Angst. Sie begann wieder, sich Straßen zu nähern, nicht mehr zitternd mit gesenktem Kopf, sondern mit einem wachsamen Blick auf das Geschehen.
    Inzwischen bewältigt Marielle diese Straßenkreuzung und auch vieles andere mit einem kurzen, entschlossenen Blick. Sie sieht dem Tod ins

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