Maedchenauge
allerdings auf einem bestimmten Gebiet. Und für Menschen in Lilys Alter gab es keinen Anlass, sich für jemanden wie Saborsky zu interessieren.
Inzwischen fuhr Belonoz fort: »Und er hat noch mehr getan. Bücher herausgebracht, Vorträge gehalten, Fernsehauftritte absolviert. Er hat Karrieren gefördert. Und andere Karrieren verhindert oder zumindest behindert. Ja, zu seiner Zeit war er ein wichtiger Mann mit besten Beziehungen. Damit hat er andere erpressen können. Mit anderen Worten, er war ein Arschloch.«
»Was macht er heute?«, fragte Lily.
»Nicht viel. Seit fünf Jahren liegt er auf dem Zentralfriedhof. Dort, wo er schon lange hingehört hat, wie manche Leute behaupten.«
Geradezu fasziniert sah Lily Belonoz an. »Woher wissen Sie denn das alles?«
»Durch eine persönliche Begegnung, die nicht besonders angenehm verlaufen ist. Vor dreißig Jahren war ich ein kleiner Streifenpolizist. Eines Nachts war ich mit einem Besoffenen konfrontiert, der in einem Restaurant in der Wiener Innenstadt herumgepöbelt hat. Das war Saborsky. Der hat sich über irgendetwas wahnsinnig aufgeregt.«
»Worüber?«
»Dass er nicht den vereinbarten Tisch bekommen hat, oder dass das Essen schlecht war, irgend so etwas. Ich weiß es nicht mehr. Die Affäre hat man durch Intervention von oben niedergebügelt. Der damalige Polizeipräsident hat mich persönlich zum Rapport bestellt. Um sicherzugehen, dass nichts nach außen durchsickert. Saborsky hat mächtige Freunde besessen.«
»Und jetzt befassen wir uns mit seinem Sohn. Sind bei den Ermittlungen irgendwelche Störmanöver zu erwarten?«
»Ich würde es nicht ganz ausschließen. Saborskys Vernetzung mit einflussreichen Wiener Kreisen reicht lange zurück.«
»Wie auch immer, an den ermittelten Tatsachen lässt sich nicht vorbeigehen. Da kann Lenz machen, was er will. Haben die Hausdurchsuchungen etwas ergeben?«
Marlene Metka meldete sich zu Wort. »Bis jetzt keinerlei Auffälligkeiten. Nur in der Wohnung von Nicole Saborsky haben wir ganz kleine Mengen von Marihuana gefunden. Aber keine Hinweise auf einen Zusammenhang mit dem Tod von Selma Jordis.«
»Danke, Frau Metka. Bitte mailen Sie die Fotos der Festgenommenen an Ulla Koppel. Vielleicht erkennt sie die Gesichter. Und auch die Studenten, die nach dem Mord an Selma Jordis befragt worden sind, müssen sich die Fotos anschauen«
»Erledige ich sofort.«
Belonoz sah Lily erwartungsvoll an. »Wie wollen Sie jetzt vorgehen, Frau Doktor?«
Lily richtete ihre Augen kurz zur Decke, als wäre von dort Inspiration zu erwarten. »Zuerst möchte ich Nicole Saborsky einvernehmen. Gestern Abend war sie ziemlich überrascht von ihrer Festnahme und äußerst verstockt. Viel hat sie nicht erzählt. Aber sie hat bestätigt, dass sie Selma Jordis durch ihren Bruder gekannt hat.«
Metka war augenblicklich begeistert. »Na bitte, immerhin …«
»Das beweist noch überhaupt nichts. Ihre Rolle in diesem Fall ist völlig unklar. Wenn wir nicht mehr Fakten auftreiben, wird der Haftrichter sie gehen lassen. Uns bleiben rund achtunddreißig Stunden, um mehr herauszufinden. Und um zu verhindern, dass sie irgendwelche Beweise verschwinden lässt, von denen wir noch nichts ahnen.«
»Eigentlich klassische Flucht- und Verdunkelungsgefahr, wie sie im Buche steht«, sagte Kovacs. »Und was ist mit Tom?«
»Zuerst will ich mich über die Art der Beziehung zwischen Bruder und Schwester informieren.«
»Sie vermuten also, dass eventuell mehr dahinterstecken könnte?«, fragte Belonoz lauernd.
»Spekulationen erspare ich mir. Aber hinter allen Dingen des Lebens steckt mehr, als man auf den ersten Blick denken würde. Wir werden sehen.«
Steffek, der bisher stumm und beinahe regungslos geblieben war, schien plötzlich erwacht zu sein. »Hat Tom Saborsky die Aussage verweigert?«
»Ja. Er hat nur einen Anwalt verlangt. Sonst hat er nichts gesagt.«
»Interessant. Meiner Erfahrung nach handeln nur Menschen so, die etwas zu verbergen haben oder Erfahrung mit polizeilichen Ermittlungen haben.«
»Durchaus möglich … Was ist bei den Hausdurchsuchungen herausgekommen?«
»Bis dato nichts Spektakuläres«, sagte Nika Bardel. »Aber der Großteil der Arbeit steht uns noch bevor. Die Untersuchung von Computern, Laptops, Handys, DNA-Tests und …«
Lily unterbrach sie. »Ich will unbedingt wissen, ob Selma Jordis jemals in der Wohnung von Tom war. Oder bei Nicole. Suchen Sie überall und sehr genau. Sparen Sie keinen Raum aus. Ist bisher
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